Blaulicht
Kollegen von der Streife und beginnt kurz darauf, sich erste Notizen zu machen. Die beiden Bauarbeiter, erfährt sie von einem der Uniformierten, haben offenbar vom Tathergang selbst nichts mitbekommen, Namen und Anschriften wurden bereits aufgenommen, sehr viel mehr wird auch sie nicht von ihnen erfahren. Interessanter dürfte dieser Heinrich Zintl sein, der am Fenster stand, als die junge Frau, die sich zwischenzeitlich bereits in der Notaufnahme des Nordklinikums befinden müsste, mit dem Messer auf das Opfer losgegangen ist. Die Kollegin von der Spurensicherung mit den außergewöhnlich markanten Gesichtszügen drückt Zoe noch schnell ein Kärtchen in die Hand, bevor sie den Tatort wieder freigibt und in einen schwarzen Kombi steigt. Dann eben erst mal die beiden Bauarbeiter, danach wird sie den Zeugen im ersten Stock befragen.
*
Der große, kantige Mann mit dem sonnenverbrannten Oberkörper weiß jetzt schon genau, dass er zwei Dinge niemals in seinem Leben wieder vergessen wird: den röchelnden Atem des Mannes, der in einer großen roten Pfütze vor ihm auf der Straße zusammenbricht und die Augen dieser jungen, schwarz gekleideten Frau mit dem totenbleichen Gesicht. Sind eigentlich gar keine Augen, sind so was wie dunkle Krater eines erloschenen Vulkans, in denen je eine hellblaue Iris schwimmt, zwei eiskalte, erstarrte Seen in einer Schneewüste von Gesicht, die dich trotz der drückenden Hitze frösteln machen, selbst wenn du nur einen ganz flüchtigen Blick erhaschst, bevor sich die Lider darüber schließen und dir ein dürrer schwarzer Körper in den Armen zusammensackt.
Als er noch ein Junge war, sah er einmal einen Mauersegler, wohl noch jung und ungeschickt, mit voller Wucht gegen eine Ziegelwand fliegen. Er war hingelaufen, hatte den kleinen Vogelkörper in die Hand genommen, seine Wärme gespürt, die winzigen Krallen auf seiner Handfläche zuckten noch ein paarmal, so als wollten sie dem Tod entkommen. Genau daran muss er jetzt denken, als er die junge Frau, eigentlich noch ein Mädchen, vor sich auf dem Pflaster liegen sieht, seine Hand unter ihrem Kopf – ein Mauersegler, ein kleiner sterbender Mauersegler.
»Kannst die Hand jetzt wegnehmen, Mann!« Wer sagt das? »Hallo, Sie können die Frau jetzt uns überlassen!«
Mike Wagner sieht sich, wie er sich langsam aufrichtet, sieht auch die zwei Sanitäter, die die ohnmächtige Frau vorsichtig auf eine Transportbahre heben, wie zwei orangefarbene Geister kommen sie ihm vor. Andere Geister in Signalfarbe kümmern sich um den Mann, aus dessen Hals eben noch das viele Blut gespritzt ist. An einem schwankenden Gestell hängt ein Plastikbeutel mit einer durchsichtigen Flüssigkeit.
All das sieht er immer noch und weiß, dass er diese Bilder nie wieder aus seinem Kopf wird löschen können. Nie wieder.
»Herr Wagner, können Sie mir sagen, was Sie gesehen haben?«
Die Stimme kommt von schräg unten. Die zierliche Frau reicht ihm gerade einmal bis zum Brustbein und hat den Kopf leicht in den Nacken gelegt, um ihm ins Gesicht sehen zu können. Sie ist hübsch, trotz der klobigen Brille. Ein südlicher Typ, ihre langen dunklen Haare sind mit einer Klammer locker hochgesteckt, ein paar Strähnen fallen ihr ins Gesicht, einige sind am Schweiß auf ihrer Stirn festgeklebt. Wie hieß diese griechische Sängerin noch einmal, die seine Mutter so gern mochte?
»Herr Wagner, haben Sie etwas gesehen?«
Ja, er hat etwas gesehen, aber wie soll er es beschreiben, was versteht eine Polizistin schon von einer Kindheit auf dem Land, von Mauerseglern und von kleinen hellblauen Seen?
Und so fällt das Protokoll, das Zoe Kandeloros später in die Tastatur des Computers tippen wird, trotz des Augenzeugenberichts von Heinrich Zintl sehr mager aus. Draußen erstickt die Stadt unter einem zähen Fluss von schmutziggrauem, geschmolzenem Wachs, und Zoe sehnt sich plötzlich nach der Heimat ihrer Vorfahren, nach Pinienwäldern, sanften grünen Hügeln und einem kristallblauen Meer.
*
Schon wieder klingelt das Telefon. Eine dezent gebräunte, sehnige Hand hebt den Hörer ab, ein schmaler Mund nennt einen Namen, den leicht gereizten Unterton erkennt nur ein sehr aufmerksames Ohr.
»Kollege Kalz«, sagt Dezernatsleiter Mattusch am anderen Ende, »ich wäre heute Nachmittag auch lieber im Freibad, das können Sie mir glauben.«
»Kein Gedanke an Freibad, Chef.«
Sogar an einem Tag wie heute reagiert Kalz wie jemand, der Abkühlung nicht nötig hat.
»Na
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