Blaulicht
gekrochen ist und ein beinahe hörbar knisterndes Energiefeld erzeugt. Er hat gelernt, sich nicht aus dem Tritt bringen zu lassen – einer der vielen Vorteile seines regelmäßigen Lauftrainings.
»Frau Kovács, ich habe Ihre Tochter gefragt. Nicht Sie. Leonie, deine Schwester ist also vor ungefähr drei Jahren hier ausgezogen und solange hast du sie auch nicht mehr gesehen. Sie muss damals aber doch noch in der Schule gewesen sein, oder?«
Die Kleine nickt. Barbara Kovács spießt ihn mit Blicken auf, die unter die Waffenscheinpflicht gehörten.
»Gut, lassen wir die Frage nach dem Grund, warum sie damals weggelaufen ist, erst einmal beiseite und bleiben bei dem, was heute passiert ist. Hast du denn von Sandra gehört in den vergangenen Jahren und vor allem in der letzten Zeit?«
Schweigen. Kopfschütteln.
»Weißt du, wo sie gewohnt hat?«
Kopfschütteln.
»Habt ihr mal telefoniert? Hat sie dir E-Mails geschickt oder vielleicht eine SMS?«
Das Mädchen schaut ängstlich, setzt zu einer Antwort an, bricht wieder ab. Ihre Blicke huschen noch einmal zum Gesicht des Kommissars, dann zu dem ihrer Mutter und heften sich schließlich an die Bodenfliesen. Stummes Kopfschütteln. Ein kaum hörbares »Ich weiß nichts«.
»Sie hat sich eben herumgetrieben«, sagt die Kovács mit unverhohlener Wut in der Stimme, »und hat es nicht für nötig befunden, sich gelegentlich bei ihren Eltern zu melden. Na ja, wer nicht will, der hat bekanntlich schon.«
Kalz bemerkt, dass Leonie heftig schluckt und die Tränen offenbar nur mit Mühe zurückhalten kann.
»Frau Kovács, darf ich Sie bitten, uns allein zu lassen.«
Die Kovács zuckt zusammen, als hätte sie einen Schlag erhalten.
»Wie bitte? Ich lass mich doch nicht von Ihnen in meinem eigenen Haus herumkommandieren. Geben Sie mir mal Name und Durchwahl Ihres Vorgesetzten.«
Kalz fingert eine Karte mit der Dienststellennummer aus seiner Sakkotasche und legt sie seelenruhig auf den Glastisch.
»Noch einmal, Frau Kovács, ich möchte Sie bitten, mich mit Ihrer Tochter allein zu lassen. Es ist nur zu Leonies Bestem, wenn ich ihre Aussage hier in einer vertrauten Umgebung aufnehme. Ich kann sie auch ins Präsidium laden, falls Ihnen das lieber ist.«
Statt einer Antwort greift die Kovács nach dem vergoldeten Etui vor sich, steckt sich eine Zigarette an und bläst Kalz den Rauch demonstrativ ins Gesicht. Sie ist es nicht gewohnt, Befehle zu erhalten, sie erteilt Befehle und die werden befolgt. Dies ist ein Befehl, der unmissverständliche Befehl an diesen überheblichen Staatsdiener, ihr Haus auf der Stelle zu verlassen.
»Wie Sie wollen. Dann lass ich Ihre Tochter als Zeugin ins Präsidium vorladen. Den Termin erfahren Sie noch heute.«
Eigentlich war Mattusch auf entspannendes Fußballschauen im Biergarten eingestellt, Spanien gegen Portugal verspricht eine tolle Partie zu werden. Die Spanier sind für ihn sowieso ein ganz heißer Tipp, neben den Spielen der deutschen Mannschaft sind es die präzisen und temperamentvollen Spanier, auf die er sich bei dieser WM am meisten freut. Aber er ahnt den Ärger schon lange, bevor das Telefon läutet, und er weiß, dass er sich verdammt geschickt verhalten muss, wenn Tobisch ihn an der Strippe hat. Er weiß außerdem, dass es nach diesem Anruf mit der Vorfreude auf einen entspannten Feierabend vorbei sein wird, weil ab dem Moment eine Uhr ticken wird, die er selbst durch den Krach der Vuvuzelas würde hören können.
Staatsanwalt Tobisch ist das, was man einen Hardliner nennt – und er ist stolz darauf. In diesem Falle könnte es aber auch ein Lamm von einem Staatsanwalt sein, er dürfte sich gar nicht anders verhalten. Sandra Kovács hat einen Menschen niedergestochen und ihn lebensgefährlich verletzt, basta. Das ist ein eindeutiger Fall von mindestens gefährlicher, wenn nicht gar schwerer Körperverletzung. Nur dem Umstand, dass sie nach der Tat selbst zusammengebrochen ist, weil ihr Kreislauf versagte, verdankt sie es, nicht sofort in polizeilichen Gewahrsam genommen worden zu sein. Sobald sich ihr Zustand aber nur halbwegs stabilisiert, ist sie ein ganz klarer Fall für die Forensische Klinik im niederbayerischen Mainkofen und damit aus Mattuschs Reichweite. Lediglich die Tatsache, dass sie einen Stoff konsumiert hat, der schon mehrfach tödlich gewirkt hatte, bedeutet in diesem Fall, einen winzigen Joker in der Hand zu halten. Zwar war der betreffende Spezialist im Kliniklabor heute Nachmittag auf Schulung, aber
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