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Blausäure

Blausäure

Titel: Blausäure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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verabredet und war Einladungen zu Tee und Tanz gefolgt, ohne es jedoch recht zu genießen. Damals hatte sie sich lustlos und unzufrieden gefühlt. Bis zu jener reichlich langweiligen Tanzparty Ende Juni, als sie plötzlich hinter ihrem Rücken eine leise Stimme hörte:
    «Das ist doch Iris Marie, oder?»
    Sie lief knallrot an, und als sie sich umdrehte, blickte sie direkt in Anthonys – Tonys – dunkles Gesicht. Er sah sie prüfend an.
    «Sie erinnern sich vermutlich nicht an mich, aber –»
    «Aber natürlich erinnere ich mich», unterbrach sie ihn. «Selbstverständlich!»
    «Großartig! Ich fürchtete schon, Sie hätten mich vergessen. Es ist so lange her, dass ich Sie zuletzt sah.»
    «Ja, nicht seit Rosemarys Geburtstags-»
    Sie verstummte. Die Worte waren fröhlich und unüberlegt über ihre Lippen gekommen. Jetzt wich die Farbe aus ihren Wangen und ließ sie bleich und blutleer erscheinen. Ihre Lippen zitterten. Entsetzt starrte sie ihn an.
    «Es tut mir so Leid», sagte Anthony Browne schnell. «Ich bin wirklich ein Tölpel, Sie daran zu erinnern.»
    Iris schluckte.
    «Es ist schon in Ordnung», sagte sie.
    (Nicht seit dem Abend von Rosemarys Geburtstagsfeier. Nicht seit dem Abend, an dem Rosemary Selbstmord beging… Aber sie wollte nicht daran denken. Und würde nicht daran denken!)
    «Es tut mir wirklich Leid», wiederholte Anthony Browne. «Bitte entschuldigen Sie. Wollen wir tanzen?»
    Sie nickte. Obwohl sie für den Tanz, der gerade begann, schon verabredet war, schwebte sie in seinen Armen davon. Sie sah, wie ihr Tanzpartner, ein linkischer jünger Mann, der seine Kragenweite noch nicht ganz ausfüllte, nach ihr Ausschau hielt. Er war die Sorte von Tanzpartner, mit der sich Debütantinnen zufrieden geben mussten, dachte sie voller Verachtung. Da war dieser Mann ein ganz anderes Kaliber – Rosemarys Freund.
    Der Stich ging mitten ins Herz. Rosemarys Freund. Der Brief. Hatte Rosemary an diesen Mann geschrieben, der sie gerade in seinen Armen hielt? Er tanzte mit einer katzenhaften Anmut und Leichtigkeit, die den Kosenamen «Leopard» durchaus glaubwürdig erscheinen ließ. Waren er und Rosemary –
    Mit scharfem Unterton fragte sie:
    «Wo waren Sie die ganze Zeit?»
    Er hielt sie ein bisschen auf Abstand und sah ihr ins Gesicht. Sein Lächeln war verschwunden, und seine Stimme klang kühl.
    «Ich war verreist, geschäftlich.»
    «Ach so. Und warum sind Sie zurückgekommen?», rutschte es ihr heraus.
    Jetzt lächelte er. Leichthin sagte er:
    «Vielleicht – um dich zu sehen, Iris Marie.»
    Damit zog er sie näher an sich heran und führte sie in einem langen und schwungvollen Bogen mitten durch die anderen tanzenden Paare hindurch – ein Wunder an Kühnheit und Präzision. Iris wunderte sich, wieso sie mit einem Gefühl, das fast ganz in Vergnügen aufging, gleichzeitig Angst empfand.
    Seitdem war Anthony Teil ihres Lebens geworden. Sie sahen sich jede Woche, mindestens einmal.
    Sie traf ihn im Park und auf Partys und als Tischherrn bei Abendeinladungen.
    Nur am Elvaston Square ließ er sich nie blicken. Es dauerte eine Weile, bis sie es bemerkte, so geschickt wich er Einladungen dorthin aus. Aber irgendwann begann sie, sich darüber Gedanken zu machen. War es, weil er und Rosemary –
    Es war George, der unbedarfte, zurückhaltende George, der plötzlich anfing, von ihm zu reden.
    «Wer ist eigentlich dieser Anthony Browne, mit dem du dich immerzu triffst? Was weißt du über ihn?»
    Sie sah ihn erstaunt an.
    «Nur, dass er ein Freund von Rosemary war!»
    George hatte wieder sein nervöses Augenzucken bekommen, und er antwortete mit dumpfer, schleppender Stimme:
    «Ein Freund von Rosemary, ja, natürlich.»
    «Entschuldige bitte», rief Iris reumütig. «Ich hätte dich nicht an sie erinnern sollen.»
    George schüttelte den Kopf. Er wirkte verkrampft und blickte zur Seite, als er sprach.
    «Aber nein, ich will ja gar nicht, dass man sie vergisst. Niemals! Schließlich bedeutet ja sogar ihr Name treues Gedenken! Rosmarei und Christi Blut… »
    Jetzt schaute er ihr direkt ins Gesicht.
    «Du darfst deine Schwester niemals vergessen, Iris, hörst du!»
    Sie atmete tief ein.
    «Ganz bestimmt vergesse ich sie nicht.»
    «Aber was diesen jungen Mann angeht, diesen Anthony Browne», fuhr George fort, «vielleicht mochte Rosemary ihn, aber ich glaube nicht, dass sie viel von ihm wusste. Sei vorsichtig, Iris. Du bist jetzt eine sehr reiche junge Frau.»
    «Tony – Anthony – hat selbst Geld genug!»,

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