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Blausäure

Blausäure

Titel: Blausäure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Altar geschritten und hatte das Flüstern in der Menge gehört:
    «Was für eine wunderschöne Braut…»
    Warum war Rosemarys Wahl auf George gefallen? Schon damals hatte sich Iris darüber gewundert. Es hatte so viele interessante junge Männer gegeben, die ständig anriefen und mit Rosemary ausgehen wollten. Warum entschied sie sich ausgerechnet für George Barton, der fünfzehn Jahre älter war als sie, zwar freundlich und nett, aber ein schrecklicher Langweiler?
    George war gut betucht, aber Geld war kein Grund. Schließlich hatte Rosemary selbst mehr als genug davon.
    Onkel Pauls Geld…
    Iris überlegte genau und versuchte zu unterscheiden. Was hatte sie inzwischen erfahren und was schon damals gewusst? Über Onkel Paul zum Beispiel?
    Dass er kein richtiger Onkel war, war schon immer klar gewesen. Ohne dass sie je direkt darüber aufgeklärt worden war, hatte sie doch so einiges mitgekriegt. Paul Bennett hatte einst ihre Mutter geliebt. Die aber hatte einen anderen – und ärmeren – Mann vorgezogen. Paul Bennett hatte seine Niederlage mit der Haltung eines Romantikers getragen. Er wurde der Freund der Familie und blieb so seiner Liebe treu und platonisch verbunden, als «Onkel Paul» – Rosemarys Patenonkel. Und als er starb, stellte sich heraus, dass er seinem kleinen Patenkind sein gesamtes Vermögen vermacht hatte. Damals war Rosemary dreizehn Jahre alt.
    Rosemary hatte also außer ihrer Schönheit noch andere Reichtümer zu bieten. Aber geheiratet hatte sie den netten Langweiler George.
    Warum, um alles in der Welt? Iris hatte es damals nicht verstanden, sie verstand es noch immer nicht. Sie glaubte nicht, dass Rosemary je in ihn verliebt gewesen war. Immerhin schien sie sehr glücklich mit ihm, schien ihn gern zu haben. Ja, gewiss mochte sie ihn gern. Das herauszufinden, hatte Iris reichlich Gelegenheit gehabt, denn ein Jahr nach der Hochzeit war ihre Mutter gestorben, die hübsche, zarte Viola Marie, und Iris, gerade erst siebzehn, zog zu ihrer Schwester Rosemary Barton und deren Mann ins Haus.
    Ein siebzehnjähriges Mädchen. Iris versuchte, sich ein Bild von sich selber zu machen. Wie war sie gewesen? Was hatte sie gefühlt und gedacht? Was hatte sie wahrgenommen?
    Sie kam zu dem Ergebnis, dass diese junge Iris Marie eine Spätzünderin gewesen war, eine, die nichts hinterfragte, sich leicht abfand mit allem. Hatte sie es zum Beispiel übel genommen, dass Mutter Rosemary bevorzugte? Im Großen und Ganzen wohl nicht. Ohne zu zögern, hatte sie akzeptiert, dass Rosemary die Wichtigere von ihnen beiden war. Rosemary war älter, war heiratsfähig – also hatte sich ihre Mutter, soweit es ihre Kräfte erlaubten, mit der Schwester befasst. Das war nur natürlich gewesen. Eines Tages käme sie an die Reihe…
    Viola Marie war immer eine Mutter auf Abstand gewesen. Sie war mit ihrer eigenen Gesundheit beschäftigt und überließ ihre Töchter anderen Leuten, Kinderfrauen, Gouvernanten und Schulen. Aber in den kurzen Momenten, wenn sie ihnen über den Weg gelaufen war, war sie stets bezaubernd gewesen.
    Hector Marie starb, als Iris fünf Jahre alt war. Das Wissen, dass er mehr getrunken hatte, als gut für ihn war, war auf so diskrete Weise in ihr Bewusstsein gelangt, dass sie nicht die geringste Ahnung mehr hatte, wie es ihr zu Ohren gekommen war.
    Mit siebzehn hatte Iris Marie das Leben so hingenommen, wie es gerade kam. Sie hatte ihre Mutter gebührend betrauert, hatte schwarze Kleider getragen und war ins Haus von Schwester und Schwager am Elvaston Square gezogen.
    Wie langweilig war es dort manchmal gewesen! Iris sollte erst nach dem Trauerjahr am Gesellschaftsleben teilnehmen. Bis es so weit war, erhielt sie drei Mal in der Woche Unterricht in Französisch und Deutsch; außerdem besuchte sie einen Kursus in Hauswirtschaft. Es gab Zeiten, da es nichts zu tun für sie gab, und niemanden, mit dem sie reden konnte. George begegnete ihr gleich bleibend freundlich und brüderlich. Sein Verhalten ihr gegenüber war immer dasselbe gewesen – und war es noch.
    Und Rosemary? Iris hatte sie nur selten gesehen. Rosemary ging viel aus. Kleideranproben, Cocktailpartys und Bridge…
    Was wusste sie wirklich von Rosemary, wenn es hart auf hart kam? Was ahnte sie auch nur von ihren Vorlieben, ihren Hoffnungen und Ängsten? Es war wirklich zum Fürchten, wie wenig man jemanden kannte, mit dem man unter einem Dach gelebt hatte! Zwischen den beiden Schwestern hatte nur wenig – eigentlich gar keine – Vertrautheit

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