Bleakhouse
immer noch runde Augen macht und immer noch schwach in der Grammatik ist, mit einem Müller unsrer Gegend verheiratet ist, und doch ist es wahr. Selbst jetzt, in diesem Augenblick, wenn ich von meinem Schreibtisch im Morgensonnenschein zum Fenster hinausschaue, sehe ich, wie ihre Mühle zu gehen anfängt. Ich hoffe nur, der Müller verdirbt mir Charley nicht, denn er hat sie sehr gern. Charley ist etwas eitel seinetwegen, denn er hat sein gutes Auskommen, und es war ein großes Gereiße um ihn. Was die Erinnerung an die Zeit, wo sie meine kleine Zofe war, betrifft, so möchte ich fast meinen, daß die Zeit sieben Jahre lang ebenso still gestanden haben müßte wie die Mühle noch vor einer halben Stunde, denn die kleine Emma, Charleys Schwester, ist ganz ihr früheres Ebenbild. Wie weit es Tom, Charleys Bruder, in der Schule im Rechnen gebracht hat, wage ich nicht zu entscheiden, aber ich glaube, bis zu den Dezimalbrüchen. Aber wie weit es auch gewesen sein mag, jedenfalls ist er jetzt Lehrling bei dem Müller und ein guter, schüchterner Junge, der immer in irgendein Mädchen verliebt ist und sich jedes Mal mächtig darüber schämt.
Caddy Jellyby verlebte die eben verflossenen Feiertage bei uns und war liebenswürdiger als je. Beständig tanzte sie mit den Kindern im Hause herum, als ob sie nie in ihrem Leben Lektionen gegeben hätte. Sie hat jetzt ihren eignen Wagen anstatt des gemieteten und ist von Newman-Street zwei ganze Meilen weiter westlich gezogen. Sie arbeitet sehr angestrengt, denn ihr Mann, ein vortrefflicher Gatte, ist gelähmt und kann nur sehr wenig tun. Dennoch ist sie zufriedener als je und kommt allen ihren Pflichten getreu und freudig nach. Mr. Jellyby verbringt seine Abende in ihrem neuen Hause und lehnt den Kopf an die Wand, genau wie im alten. Mrs. Jellyby soll lange Zeit sehr unter der Mesalliance und dem »entwürdigenden« Beruf ihrer Tochter gelitten haben, wie ich hörte, aber ich hoffe, sie hat sich mit der Zeit von ihrem Verdruß erholt. Mit Afrika hat sie Pech gehabt, denn das Unternehmen schlug fehl, weil der König von Borriobula-Gha jeden, den das Klima am Leben ließ, für Schnaps zu verkaufen strebte. Sie ist jetzt tätig, der Frau das Recht, im Parlamente zu sitzen, zu erwirken, und Caddy sagt mir, daß diese Mission einen noch größeren Briefwechsel nach sich zieht als die alte.
Fast hätte ich Caddys armes kleines Mädchen vergessen. Es ist nicht mehr so winzig klein, aber taubstumm. Ich glaube, es hat nie eine bessere Mutter gegeben als Caddy, die in ihren kargbemessenen Mußestunden unzählige Taubstummenkünste lernt, um dem Kinde sein Los erträglicher zu gestalten.
Als ob ich niemals mit Caddy fertig werden sollte, fallen mir hier Peepy und der alte Mr. Turveydrop ein. Peepy ist beim Zollamte angestellt und befindet sich dabei außerordentlich wohl. Der alte Mr. Turveydrop, sehr apoplektisch geworden, trägt seinen Anstand immer noch in der Stadt spazieren, genießt das Leben auf die alte Weise und wird immer noch wie ehedem mit Ehrfurcht und gläubigen Auges angesehen. Er ist ein großer Gönner Peepys und soll ihm seine Lieblingsstutzuhr im Ankleidezimmer, die nicht ihm gehört, vermacht haben.
Mit dem ersten Gelde, das wir uns ersparten, bauten wir an unser hübsches Haus ein kleines Brummstübchen für meinen Vormund an, das wir dann, als er uns besuchen kam, mit großem Glänze einweihten. Ich versuche, alles das leichten Sinnes hinzuschreiben, weil mein Herz jetzt, wo es zu Ende geht, übervoll ist; aber wenn ich von ihm schreibe, treten mir immer wieder die Tränen in die Augen.
Nie kann ich ihn ansehen, ohne daß ich nicht im Geiste unsern armen, lieben Richard ihn einen guten Menschen nennen höre. Ada und ihrem hübschen Knaben ist er der zärtlichste Vater, mir, was er mir immer gewesen ist, und mit welchem Namen kann ich das ausdrücken! Er ist meines Mannes bester und teuerster Freund, er ist der Liebling unsrer Kinder, der Mittelpunkt unsrer innigsten Liebe und Verehrung. Aber trotzdem ich fast ein höheres Wesen in ihm sehe, bin ich doch so vertraut und unbefangen zu ihm, daß es mir fast wie ein Wunder vorkommt. Wir beide, sowohl er wie ich, haben unsre alten Namen noch, und wenn er bei uns zu Besuch ist, nehme ich keinen andern Platz als meinen alten auf dem Stuhle neben ihm ein. Mütterchen Hubbard, Frau Spinnweb, kleines Frauchen, so heißt es immer noch; und ich antworte: Ja, lieber Vormund, ganz wie früher.
Ich wüßte nicht, daß der Wind
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