Bleib uns gesund und behalt uns lieb 02: Briefe und Feldpostbriefe einer deutschen Familie 1928 bis 1946
dran, und spüren wir das ja immer mit. Am Abend kam es ½ 9 Uhr, Voralarm, gleich hinterher Alarm, und da waren Kampfverbände auch schon im Raum 21. Die Kinder waren in fünf Minuten angezogen und unten. Raufgehen und Sachen runterholen kann man da allerdings nicht mehr. Es war fürchterlich. Es bumste und krachte, und dauernd wurden vom Luftdruck die Türen auf- und zugeschlagen. Wir glaubten, wir wären dran. In der Hauptsache aber Fabrikanlagen in Leutzsch und Böhlitz-Ehrenberg. Hatten wir also wieder mal Glück. Heute sind sie bis jetzt noch nicht eingeflogen, vielleicht kommt das dicke Ende noch. Gestern war ich mit Heidi auch das zweite Mal impfen im Rathaus. Unser Kerlchen war wieder sehr brav, aber es nimmt sie doch immer ein bissel mit, und weiß sie nicht so recht, was sie will. Der Schlafmangel tut natürlich das seine. Heute Nachmittag hat Erika Ulli geholt, und hättest Du hinterher mal das Kerlchen sehen sollen, sie war wie umgewechselt. “So, jetzt bin ich wieder die Tante”, und sie sang durch die ganze Küche. Die Eltern kamen eben aus dem Kino ‘Edelweißkönig’. Nächste Woche will ich auch mal wieder gehen. Ich glaube unser Kind war auch ein gut Teil eifersüchtig. Jedenfalls ist sie glücklich, daß sie wieder allein ist. Mir persönlich ist es heute gar nicht so gut. Habe tüchtig Kopfschmerzen, und Schmerzen am Gebiß. Gurgle alle fünf Minunten mit Kamille. Eventl. muß ich mal zum Zahnarzt gehen. Der Schrank steht noch drüben bei Schramms, und wird wohl auch vorläufig stehenbleiben müssen. Wenn Ihr jetzt immer so naß werdet bei der Arbeit, dann sieh Dich nur vor, daß Du kein Rheuma bekommst. Es muß ja dort enorm überschwemmt sein, wenn es sogar der Wehrmachtsbericht erwähnt. Ich kann mir denken, daß es in den Geschäften und Wohnungen wüst ausschaut, und ich kann Dich schon verstehen, wenn Du da nicht organisieren kannst. Man muß sich nur persönlich mal in solch eine Lage versetzen, wenn man zurückkommt nichts mehr vorzufinden. Aber übrig bleiben tut deswegen auch nichts. Mit diesem Jagdbomber habt Ihr ja wirklich mal wieder tüchtiges Glück gehabt. Wo bist Du heute sicher? Paß nur immer tüchtig auf, kleiner Mann, denn wir wollen doch unseren Vati gesund wiederhaben. Dieser Tage war mal Ilse da, und soll ich Dich von ihr herzlich grüßen. Herbert geht es auch nicht gut. Der arme Kerl leidet schwer an Anfällen. Einmal haben sie ihn deswegen sogar ins Krankenhaus bringen müssen. Tragische(?) Epilepsie nennen es die Ärzte. Er soll operiert werden, dabei soll Gehirnwasser rausgezogen werden und mit Luft aufgefüllt. Herbert will es sich aber nicht machen lassen. Es ist ein Elend, was so der Krieg aus den einzelnen Menschen macht. Erich Patschke haben sie auch das Bein unterhalb des Knies abgenommen. Er liegt in einem Lazarett in Ostpreussen glaube ich.
Der Advent war so hin. Ich habe Dir ja schon davon geschrieben. Einen Kranz haben wir nur leider nicht. Evtl. können wir einen Baum aus Oschatz bekommen. Verboten ist es nicht. Nur die Bahn stellt keine Waggons dafür bereit. Halte die Daumen, kleiner Mann daß es klappt. Heidi erlebt doch nun bewußt Weihnachten.
Nun will ich noch mal gurgeln, dann noch Kartoffeln schälen für morgen. Weißt Du was es morgen gibt: Karpfen. Freue mich jetzt schon.
Und nun gute Nacht kleiner Mann bleib gesund und behalt uns lieb wie wir Dich lieb behalten, und nimm 1000 liebe Grüße und Süße von Deiner
Lenifrau und dem Heidikind.
Viele Grüße von allen.
E.O., den 10.12. 44
Meine liebe kleine Lenifrau!
Nun ist wieder einmal Weihnachten herangekommen, das sechste im Krieg und das erste, wo wir nicht zusammen sind. Wie oft hatte man in diesen Tagen gehofft, dass es nun das letzte Fest im Kriege sei und doch ist es Jahr für Jahr weitergegangen und sind wir gleich Millionen anderer Familien auseinander gerissen. Dabei hatten wir ja nun noch das große Glück, dass, wenn ich in den vergangenen Jahren, wenn auch nicht immer gerade am 24., so doch immerhin in der Weihnachtszeit zu Hause war. Und das wollen wir nicht vergessen, kleine Frau, das soll Dir am 24. ein Trost sein, wenn Du Dich allein fühlst. Aber das braucht nicht der Fall zu sein. Am 24. ist hier bei uns eine kleine stille Feier angesetzt, die um 18 Uhr beginnt und so gegen 20.30 Uhr beendet sein wird. Ich stelle mir nun vor, dass Ihr unserem Heidikind so gegen ½ 6 Uhr abends beschert und werde ich da in Gedanken bei Euch sein. Hoffentlich sind bis dahin
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