Bleiernes Schweigen
mit der Zunge über die Lippen und senkt die Stimme.
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass Paolo noch am selben Tag am Flughafen erfährt, dass es über den ehemaligen Bürgermeister von Palermo, Don Antonio Prestileo, einen Kontakt zur Cosa Nostra gibt.«
Der Sizilianer, denkt Daniele. Wegen Korruption und Mafiazugehörigkeit zu acht Jahren Haft verurteilt. Der Mann, der für die Kontakte zwischen den Corleonesi und der Politik zuständig war. Der Mann der Bauaufträge und Immobiliengeschäfte.
»Mit wem hat er gesprochen?«
»Wie gesagt, es ist ein Gerücht, du weißt, wie das läuft. Niemand würde das je bestätigen. Aber ich nehme an, mit den Carabinieri.«
»Ich habe die Aufnahmen.«
Leoffredi erstarrt, das Schokoladenpapier zwischen den Fingern.
»Wie bist du daran gekommen?«
Daniele legt das Notizbuch auf den Schreibtisch und erzählt das Nötigste.
Sein Kollege steht auf. Er wirft das Papier weg, nimmt sich noch eine Praline und schluckt sie ohne zu kauen herunter. Er redet wie mit sich selbst, als wollte er einen Gedanken unschädlich machen, indem er ihn ausspricht.
»Paolos Frau hat mir vor einiger Zeit gesagt, dass ihr Mann dem Chef des ROS nicht traute. Er meinte, er sei mit der Mafia verbandelt.«
»Sag mir, woran du denkst, Carlo.«
»Gute Frage.« Er setzt sich wieder auf die Tischkante. »An einen gegenseitigen Gefallen?« Er schüttelt den Kopf, lächelt bitter und sieht Daniele direkt in die Augen. »In Wirklichkeit stelle ich mir vor, was Paolo wohl gesagt hat, als sie ihm das alles erzählt haben. Ein paar Tage nach seiner Verlautbarung in Messina habe ich ihn in seiner Kanzlei besucht. Er weinte. Ich wollte nicht stören. Doch er hat mich hineingewinkt. ›Ein Freund hat mich betrogen‹, hat er gesagt. Ich stand da wie ein Trottel und wusste nicht, was ich sagen sollte. Er hat sich die Augen gewischt, eine Zigarette angezündet und mir einen Kaffee angeboten. Während wir unseren Kaffee tranken, hat er noch einen Satz hingeworfen. ›Riina und Provenzano lassen ihre Muskeln spielen. Es sieht so aus, als wollten sie einander zeigen, wer von beiden das größere Schwein ist.‹«
»Don Antonio Prestileo war Provenzanos Nachbar«, schließt Daniele, und das Echo des Tonbands hallt ihm wieder in den Ohren.
Beschaffen Sie mir die Unterlagen und ich zeige Ihnen den Ort.
Ein Satz des Sizilianers während eines der letzten Treffen Ende Oktober 1992. Zwei Monate später wird Totò Riina verhaftet.
Er erzählt Carlo davon. Wenige Worte, die das Zimmer in eine gellende Stille tauchen und die Angst spürbar machen.
»Zufall«, raunt Leoffredi und kehrt hinter den Schreibtisch zurück.
»Es gibt einen Gedankengang, den ich bisher nie laut auszusprechen gewagt habe. Es wäre fast so, als müsste man zugeben, dass von Anfang an alles sonnenklar gewesen ist. Und niemand von uns hat etwas bemerkt.«
»Du weißt, ich konnte nichts …«
»Ja doch, Daniele. Wie heißt es doch so schön: Hätte man’s vorher gewusst … Lass mich ausreden. Du weißt sehr wohl, dass eine Staatsanwaltschaft keine Untersuchungen zum Tod eines ihrer Mitglieder anstellen kann. Deshalb ist Caltanissetta für Capaci zuständig. Und das gleiche gilt für die Via d’Amelio. Du weißt auch, dass der Leitungsposten der Staatsanwaltschaft von Caltanissetta nicht besetzt ist. Die Ernennung des neuen Oberstaatsanwaltes erfolgt wenige Tage nach Capaci, nämlich Ende Mai. Der Amtsantritt ist für September vorgesehen. Stattdessen übernimmt der neue Leiter seinen Posten Mitte Juli. Es gilt Falcones Tod zu untersuchen, und da ist keine Zeit zu verlieren. Bis dahin hat niemand Paolo zu Giovannis Tod befragt. Es gibt weder ein Protokoll noch eine Aussage noch sonst irgendetwas Offizielles, in dem Borsellino sagt, was er weiß, zu wissen glaubt oder verstanden zu haben meint. Noch nicht einmal nach seinen Verlautbarungen in Messina befragen sie ihn. Kannst du mir folgen?«
»Red weiter.«
»Dem Neuling gebe ich keine Schuld, es ist, wie es ist. Aber ich stelle mir ein paar Fragen. Wer glaubt Curatolos Aussagen? Wer beschließt, entgegen der Meinung der Staatsanwälte weiterzumachen? Ich gehe noch weiter. Du weißt, dass es in Falcones Terminkalender einen Hinweis auf eine Amerikareise gibt, weniger als einen Monat vor seinem Tod.«
»Er redet mit Buscetta.«
»Möglich. Zu dieser Reise werden keinerlei Untersuchungen angestellt, obwohl der amerikanische Richter, der mit Falcone zusammengearbeitet hat, die Reise bestätigt
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