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Das wilde Leben

Das wilde Leben

Titel: Das wilde Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Mircea Cărtărescu
    Ada-Kaleh, Ada-Kaleh
    N och heute erinnere ich mich an den Geruch des Bildes von der Insel Ada-Kaleh. Wenn ich auf dem Bett herumhüpfte, hüpfte auch jene grüne Insel mit ihrem blaßgelben Minarett auf und ab, während die Türkin im Vordergrund mal im etwas grellen Blaßgrün der Donau schwebte und mal in der blauen Schmiere des Himmels. In den ersten Tagen hatte der Geruch nach Leinöl mein kleines Zimmer bis unter die Decke angefüllt, und wenn ich das Fenster öffnete, konnte ich buchstäblich sehen, wie er hinausfloß und sich wie ein Wasserfall über die fünf Etagen aus grobkörnigen vorgefertigten Platten hinabstürzte. Er war eklig und trotzdem angenehm, wie viele andere Gerüche, der des Benzins, des Ebonits, der Nußbaumblätter und des Naturkautschuks, ja selbst der Geruch der toten Katzen auf dem Hof hinter dem Wohnblock. Die Farbe war noch nicht trocken: ich hatte mehrfach den Fingernagel hineingesteckt, er drang ein wie in Butter, bis Vater mich erwischte und das übliche Riemen-aus-den-Hosenschlaufen-Ziehen folgte. Schließlich hatte das Bild 25 Lei gekostet, sehr viel Geld für eine Arbeiterfamilie, die umgezogen war in die Chaussee Ştefan cel Mare und damit begonnen hatte, so, wie sie es eben verstand, sich das kleine Apartment zu verschönern. Der Wohn
block war noch nicht ganz fertig, morastige Gräben, in denen die Abwasserrohre verlegt werden sollten, umzogen ihn, auch der Fahrstuhl war noch nicht in seinen bedrohlichen Schacht einmontiert, aber die Meinen hatten ihre Dinge in Angriff genommen. Erst einmal tapezierten sie mit der Gummiwalze, für jeden Raum ein anderes Muster – hier kaffeebraune Zweige, dort rötliche Eicheln, in meinem Zimmer melancholische Palmen, und alles mit glitzerndem Tröpfchenglimmer bespritzt –, dann schleppten sie ein paar Möbelstücke an, die sie bei der Verwandtschaft eingesammelt hatten, und kauften sogar ein massives Radio mit einem großen Auge, das grün-phosphoreszierend aufleuchtete, wenn man auf die Einschalttaste drückte. Mir hatte man strikt verboten, am Radio herumzuspielen, aber in den langen Stunden, die ich nachmittags schlafen mußte, klimperte ich endlos auf seinen Tasten herum, drückte gleichzeitig zwei oder drei davon hinunter, drehte an den etwas plump geratenen Knöpfen, die aus dem gleichen, harten und beinahe transparenten Kunststoff gefertigt waren, bis der Zeiger auf dem leinenen Bildschirm von Berlin nach Warschau und weiter nach Moskau glitt. Am liebsten aber schaute ich tief in das grüne Auge, das immer kräftiger strahlte, wie ein Edelstein, je mehr sich der Apparat aufwärmte. Eines Tages, als ich wie im Rausch einem Hörspiel folgte, die Ohren gespitzt, um auch die geringsten Geräusche aus dem Speisezimmer noch aufzufangen (Vater mit seinem Damenstrumpf auf dem Kopf, damit die Haare nach hinten gepreßt würden, konnte jeden Augenblick auftauchen, um nachzusehen, ob ich schlafe), klingelte jemand an der Tür. Ich hörte Stimmen, darunter die einer unbekannten Frau, etwas, das in der kleinen Nachbarschaftswelt unseres Wohnblocks
äußerst selten vorkam. Manchmal kamen Frauen von den Zeugen Jehovas mit ihren Broschüren, auf denen immer das gleiche stand – »Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben« –, an unsere Tür, Zigeunerinnen, die Töpfe oder Teller gegen alte Kleider tauschen wollten und endlos feilschten, und kurz vor Neujahr der Pope mit dem Weihwasser, dem die Meinen niemals öffneten, sondern durch die Tür mitteilten: »Wir empfangen nicht! Wir haben andere Überzeugungen!« Sonst hatte da niemand etwas zu suchen, außer, selbstverständlich, Tante Vasilica, Mutters Schwester. Aber deren honigsüße Stimme kannte ich gut genug. Neugierig stand ich vom Bett auf, schaute mich einen Augenblick lang im Spiegel an (ein schmales, neunjähriges Bürschchen mit nichts als einer Feinrippunterhose schaute mir in die schwarzen Augen) und ging in den kleinen Flur zwischen unseren Zimmern. Ich öffnete die Tür einen Spaltbreit und lugte ins Speisezimmer. Am Tisch saß eine derart bunt gekleidete Frau, daß die Meinen neben ihr wie Kleiderpuppen aus den verstaubtesten Geschäften aussahen, beinahe hätte man sie übersehen. Die Frau rührte in der unvermeidlichen Sauerkirschkonfitüre und redete ununterbrochen. Sie hatte etliche Kartonstücke aus der Tasche gezogen und wedelte meinen Eltern damit fortwährend vor den Nasen herum. Wie seltsam sie war, eine »Dame«, anders als alle Mütter im

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