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Bleiernes Schweigen

Bleiernes Schweigen

Titel: Bleiernes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferruccio Pinotti , Patrick Fogli
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und schaltet das Telefon aus.
    Das Auto hält vor einem Notausgang. Weiße Rahmen, verdunkeltes Glas, Panikschloss. Ringsherum liegt der Park und wartet auf Nacht und Regen. Der Regen hat ihn die ganze Reise begleitet. Grau, fein, unaufhörlich.
    »Ich bin bereit, Dottore.«
    Die Stimme des Eskortenchefs vom Vordersitz. Seine Augen im Rückspiegel. Daniele antwortet mit einem Nicken und sieht hinaus.
    Die Klinik, drei Stockwerke schneeweißer Zement. Das Klatschen der Tropfen auf dem Asphalt. Das gelbe Licht einer Straßenlaterne. Die scheinbar endlose Reihe der Bäume.
    Er muss an einen Anruf denken, den er am Nachmittag erhalten hat. Andreas Stimme, weit weg, umgeben von Verkehrslärm. Nur ein Satz, ein paar winzige Sekunden.
    »Ich habe ihn gefunden.«
    Der Kreis schließt sich, denkt er.
    Er öffnet die Tasche und vergewissert sich, dass er nichts vergessen hat. Dann blättert er kurz durch das Notizbuch, atmet tief durch und steigt aus.
    Drinnen scheint die Welt verschwunden zu sein. Kein Geräusch, keine Stimme, selbst das Prasseln des Regens und das ferne Rauschen des Verkehrs sind nicht mehr zu hören.
    Er dreht sich um. Einer der Begleitschutzmänner lächelt schmal.
    »Alles in Ordnung, Dottore?«
    Ich sehe zum Kotzen aus, denkt er. Ich fühle mich, als schleifte ich einen LKW mit mir herum.
    »Alles okay, danke«, antwortet er.
    Sie betreten den Aufzug. Zwanzig Sekunden später erreichen sie das gewünschte Stockwerk. Es ist komplett geräumt worden. Sämtliche Zimmer sind leer, bis auf eines. Das letzte am Ende des Flurs, den er jetzt entlanggeht und dabei versucht, die Aufregung, die Furcht und den Wunsch zu verdrängen, alles möge nach Plan laufen.
    Vor dem Zimmer stehen vier Polizisten. Zwei erwarten ihn am Aufzug. Weitere überwachen die Treppe. Rund ein Dutzend in Zivil mischt sich unter die Angehörigen, Kranken, Ärzte, Pfleger und Verwaltungskräfte im Rest des Gebäudes.
    Sie alle sind alle wegen eines Mannes hier. Wegen des Patienten in Zimmer vierzig.
    Als er eintritt, steht er mit dem Rücken zur Tür am Fenster, den Tropfständer neben sich. Er spricht, ohne sich umzudrehen.
    »Da, wo ich herkomme, hat es nie geregnet«, sagt er. Seine Stimme ist tief und rau von zu vielen Zigaretten.
    Der Richter reagiert nicht.
    An der einen Wand steht ein Tisch. Er stellt seine Tasche auf dem Boden ab und setzt sich.
    »Das wird so bald nicht aufhören.«
    Pietro Vitale dreht sich um. Sehr langsam. Er deutet ein Lächeln an.
    Sie haben sich schon vor drei Tagen getroffen. Der Cosa-Nostra-Mann bekam noch Drainage und konnte nur wenige Stunden wach bleiben. Daniele war bei ihm, um ihm eine Frage zu stellen. Es war verfehlt, ihn zu bitten, mit der Justiz zusammenzuarbeiten. Vitale hatte noch nie hart eingesessen, hatte noch nie die Isolierung und die Kameras erlebt, die einen selbst beim Scheißen filmen. Doch es gab keine andere Wahl.
    Die Antwort hatte sechsunddreißig Stunden auf sich warten lassen. Ein Treffen unter vier Augen. Um sich zu beschnuppern.
    »Vielleicht möchten Sie lieber liegen.«
    Vitale mustert ihn stumm, graublaue, interessierte Augen, nicht wegen des Vorschlags, sondern wegen des Mannes, der ihn gemacht hat. Dann legt er sich unter die Decke und rückt den Tropf zurecht. Daniele geht zu dem Stuhl neben dem Bett. Er macht dem Wachmann ein Zeichen, und im nächsten Moment sind sie allein.
    »Wie fühlen Sie sich?«
    »Wie neu geboren.«
    »Schön für Sie.«
    Wieder dieses Lächeln. Hätte er nicht genau hingesehen, könnte er fast glauben, er hätte es sich eingebildet.
    »Schön für uns beide, Dottore. Tun Sie nicht so, als würden Sie sich für mein Befinden interessieren. Sie sind wegen meiner Stimme und wegen meiner Erinnerungen hier.« Er setzt sich auf. »Wo möchten Sie anfangen?«
    »Als Allererstes möchte ich Ihren Beweggrund wissen.«
    »Es gibt Dinge, die erzählt werden sollten«, sagt der Cosa-Nostra-Mann.
    »Ich bin kein Freund des Konjunktivs, Vitale.«
    »Seltsam. Dabei verbringen Leute wie Sie doch ihr ganzes Leben mit Gedankenspielereien.«
    »Und Leute wie Sie?«
    »Die lassen sich schnappen wie die Trottel.«
    »Neulich haben Sie etwas anderes gesagt.«
    Vitale macht ein verblüfftes Gesicht.
    »Ach, ja?«
    »Ja. Sie sagten, man habe Sie verraten.«
    »Wie würden Sie einen anonymen Anruf denn nennen, Dottore?«
    »Wer hat Sie verraten, Vitale?«
    Der Cosa-Nostra-Mann fährt sich mit der Hand durchs akkurat gestutzte, bürstenkurze Haar. Er schließt die

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