Bleiernes Schweigen
Augen.
»Die haben Sie im Visier. Das wissen Sie, oder?«
Daniele gibt sich gleichgültig. Er greift zum Stift und dreht ihn zwischen den Fingern.
»Das gehört zu meinem Job.«
Vitale sagt lange nichts. Einen Moment lang glaubt Daniele, er sei eingeschlafen. Dann öffnet er die Augen und blickt den Richter direkt an.
»Vieles von dem, was ich sage, gebe ich aber nicht noch mal zu Protokoll.«
»Hier ist niemand, der etwas zu Protokoll nehmen könnte.«
Vitale senkt die Stimme und sieht aus wie ein gehässiges Kind, das einem eins auswischen will.
»Ich verrate Ihnen ein Geheimnis. Hier ist alles voll mit Mikros.«
»Sie haben mein Wort, Vitale. Und das zählt etwas.«
»Ich weiß, ich weiß. Es heißt, Sie seien in Ordnung. Aber anständige Leute werden entweder in die Pfanne gehauen oder landen auf dem Friedhof.«
Daniele antwortet prompt. Es ist das zweite Mal in kurzer Zeit, dass ihm ein Mann der Cosa Nostra ein böses Ende voraussagt.
»Früher oder später wird das wohl passieren. Und deshalb habe ich keine Zeit zu verlieren.«
Vitale sieht zum Fenster.
»Sie haben in letzter Zeit viele Fragen gestellt.« Er sieht ihn wieder an. »Fragen Sie mich nicht, woher ich das weiß, ich weiß es und basta.« Mit schmerzverzerrter Miene gießt er sich ein Glas Wasser ein und trinkt.
»Die Cosa Nostra besteht aus zwei Teilen«, fängt er an. »Aus denen, die sitzen und warten, dass diejenigen, die etwas versprochen haben, ihre Versprechen halten. Und aus denen, die draußen sind, seelenruhig ihren Geschäften nachgehen und Geld verdienen. Ich bin ein Signal, das die hinter Gittern denen draußen senden. Wenn wir wollen, können wir jemanden rufen, der uns im Knast Gesellschaft leistet.«
»Das heißt, der, der Sie verraten hat, hat ein Signal gesendet.«
»In gewissem Sinne.«
»Und an wen war es gerichtet?«
»An jemanden, der etwas für die im Knast tun kann, Dottore. An die Cosa Nostra und nicht nur an die.«
»Und wenn ich Sie genau dazu befragen würde?«
»Zur Cosa Nostra?«
Beide lächeln.
»Ich hab’s Ihnen gesagt. Sie haben viele Fragen gestellt. Fahren Sie fort.«
Daniele stößt die Stiftspitze aufs Notizbuch. Ein Messerstich.
»Die Verhandlung, Vitale.«
Der Mafioso trinkt noch einen Schluck.
»Wissen Sie, was man über Sie sagt? Sie sind verrückt. Ich wollte es nicht glauben und hab’s ihnen auch gesagt. Und jetzt habe ich die Bestätigung. Sie sind nicht verrückt. Sie sind gefährlich.«
»Wenn Sie das sagen, dann …«
»Gefährlich für sich selbst. Nicht für mich. Und auch nicht für die Cosa Nostra.«
»Drohungen machen mir keine Angst, Vitale.«
»Ich weiß. Und genau das ist Ihr Problem.«
»Die Verhandlung.«
»Das ist nicht der richtige Weg, Dottore. Wollen Sie über Politik und Geld reden? Dann gebe ich Ihnen, was Sie wollen. Aber unterschreiben tue ich nichts.«
»Sie erzählen, und ich kümmere mich um die Belege. Sind Sie dann bereit zur Aussage?«
»Wir können’s versuchen.«
Daniele setzt sich zurecht. »Also los.«»Wie Sie wissen, hat die Cosa Nostra immer gesagt, wen man wählen soll. Als es im Maxi-Prozess zum Urteil erster Instanz kam, schicken wir der Democrazia Cristiana eine Nachricht. Wir sagten, wir würden die Sozialisten wählen. Falcone machte uns das Leben schwer, und die sollten uns helfen.«
»Die?«
»Die Politik, Dottore. Die Leute der Democrazia Cristiana, die uns seit jeher nahestanden. Die sollten uns verteidigen. Aber dazu muss man was unternehmen.«
»Und das funktioniert nicht.«
»Das funktioniert nicht. Kein bisschen. Dottor Falcone stochert noch immer überall herum, versucht, unsere Geschäfte zu untergraben und uns mit seiner besessenen Schnüffelei nach dem Geld auf die Eier zu gehen. Sie können ihn einfach nicht kurzhalten und stellen sich auf seine Seite.«
»Und er klappt über euch den Sargdeckel zu.«
Vitale nickt.
»Beim Urteil in zweiter Instanz war uns schon klar, wie die Sache enden würde. Mit Falcones Versetzung nach Rom schien man unsereins einen Gefallen tun zu wollen, Dottore. Aber in Wirklichkeit machte der weiterhin sein Ding. Es musste etwas passieren, man musste an die Zukunft denken.« Er trinkt einen Schluck. »Sämtliche Politiker, mit denen wir in Rom sprachen, meinten, es würde sich alles ändern. Das Ende der Kommunisten würde uns alle mit sich reißen. Und das konnten wir nicht zulassen. Weder wir noch die Politiker.«
»Reden Sie weiter.«
»Ende ’91 treffen sie
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