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Sacramentum

Sacramentum

Titel: Sacramentum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Toyne
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1
    Al-Hillah, Provinz Babil, Zentralirak
    Der Wüstenkrieger starrte durch das sandgestrahlte Fenster. Seine Augen waren hinter einer Schutzbrille verborgen und das Gesicht hinter seiner Kufiya, dem Kopftuch der Beduinen. Alles da draußen war kreidebleich: die Gebäude, der Schutt – ja, selbst die Menschen.
    Der Wüstenkrieger beobachtete einen Mann, der auf der gegenüberliegenden Seite die Straße hinunterschlurfte. Auch er hatte sein Gesicht mit einer Kufiya vor dem Staub geschützt. Es gab nicht viele Passanten in diesem Teil der Stadt, nicht solange die Mittagssonne so hoch am strahlend weißen Himmel stand und die Temperaturen die fünfzig Grad überschritten. Aber wie auch immer … Sie mussten sich beeilen.
    Irgendwo hinter ihm, in den Tiefen des Gebäudes, war ein dumpfer Schlag zu hören, gefolgt von einem Stöhnen. Der Wüstenkrieger hielt nach Anzeichen dafür Ausschau, dass der Passant etwas gehört hatte, doch der Mann ging weiter und duckte sich dabei in den schmalen Schatten einer von Einschusslöchern übersäten Wand. Der Wüstenkrieger beobachtete ihn weiter, bis er im Hitzeflimmern verschwamm; dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf den Raum.
    Das Büro war Teil einer Kfz-Werkstatt in den Außenbezirken der Stadt. Es roch nach Öl, Schweiß und billigen Zigaretten. An der Wand hing ein eingerahmtes Foto, das stolz die schmierigen Papierstapel und Motorteile zu überwachen schien, die jede Oberfläche hier bedeckten. Der Raum war groß genug für einen Schreibtisch und ein paar Stühle, aber auch klein genug, dass die unförmige Klimaanlage die Temperatur auf einem akzeptablen Niveau halten konnte … wenn sie denn funktionierte, und das tat sie im Augenblick nicht. Es war glühend heiß hier drin.
    Die Stadt wurde schon seit Monaten von Stromausfällen geplagt, einer von vielen Preisen, die sie für ihre Befreiung zahlen musste. Inzwischen bezeichneten die Menschen Saddams Regime schon als ›die gute, alte Zeit‹. Sicher, dann und wann sind Menschen verschwunden, doch wenigstens hatten wir damals Licht. Es erstaunte den Wüstenkrieger immer wieder, wie rasch die Menschen vergaßen. Er hingegen hatte gar nichts vergessen. Unter Saddam war er ein Gesetzloser gewesen, und das war er auch jetzt unter den Besatzern. Seine Treue galt dem Land.
    Ein weiteres schmerzhaftes Stöhnen riss ihn in die Gegenwart zurück. Er machte sich daran, Schubladen zu leeren und Schränke zu öffnen in der Hoffnung, den Stein rasch zu finden, um dann wieder in die Wüste zu verschwinden, bevor die nächste Patrouille vorbeikam. Doch der Mann, der den Stein besaß, kannte dessen Wert offensichtlich. Es war keine Spur von ihm zu sehen.
    Der Wüstenkrieger nahm das Foto von der Wand. Ein dicker schwarzer Schnurrbart, wie auch Saddam ihn getragen hatte, verdeckte ein vom Wohlstand fettes Gesicht, und eine weiße Dishdasha, ein traditionelles Männergewand, spannte sich über dem dicken Bauch des Mannes, der seine Arme um zwei grinsende junge Mädchen gelegt hatte. Unglücklicherweise hatten die beiden Kinder das Aussehen ihres Vaters geerbt. Die drei lehnten an dem weißen SUV, der nun im Hof der Werkstatt stand. Der Wüstenkrieger schaute zu dem Wagen hinaus, hörte das Ticken des sich abkühlenden Motors und sah die heiße, flimmernde Luft über der Haube und den kleinen, aber deutlich erkennbaren Kreis im unteren Teil der abgedunkelten Windschutzscheibe. Er lächelte und ging mit dem Foto in der Hand hinaus.
*
    Der Arbeitsbereich nahm fast den gesamten hinteren Teil des Gebäudes ein. Dort war es zwar dunkler als im Büro, aber genauso heiß. Neonröhren hingen nutzlos von der Decke, und in der Ecke stand still und stumm ein Ventilator. Ein einzelner heller Sonnenstrahl, der durch ein paar schmale Fenster fiel, die hoch in der Rückwand eingelassen waren, beschien einen Motorblock, der an dünnen Ketten baumelte, die aussahen, als könnten sie dessen Gewicht nicht tragen. Darunter rang der mit Stacheldraht an die Werkbank gefesselte Mann von dem Foto nach Luft. Sein Oberkörper war nackt, und sein behaarter Bauch hob und senkte sich mit jedem gequälten Atemzug. Seine Nase war blutig und gebrochen und ein Auge zugeschwollen. Dort, wo der Stacheldraht die von Schweiß glänzende Haut durchstach, sammelte sich scharlachrotes Blut.
    Über ihm stand ein Mann in verstaubtem Overall, das Gesicht ebenfalls hinter Kufiya und Schutzbrille verborgen.
    »Wo ist er?«, verlangte der Mann zu wissen und hob einen von Blut

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