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Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman

Titel: Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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ich mir gelobt habe, aufgrund meiner Erfahrung aus der Geschichte niemals nach der Weltherrschaft zu streben. Denn was ist aus den großen sogenannten Weltreichen geworden? Alexander der Große! Napoleon der Erste! All die genialen Kriegshelden, im Blute haben sie geschwommen, unterjochte Völker zurückgelassen, die beim ersten Augenblick wieder aufgestanden sind und die Reiche zum Zerfall gebracht haben!«
    Er nahm erneut meine Hand und verstärkte den Druck seiner Finger, so daß ich Mühe hatte zu atmen. Obwohl er ein ganzes Stück kleiner war als ich, verfügte er über enorme Kräfte.
    Er fuhr fort zu brüllen: »Das Weltreich, das ich mir geträumt habe, soll darin bestehen, daß vor allem das neuerschaffene Deutsche Reich von allen Seiten das absolute Vertrauen als ein ruhiger, ehrlicher, friedlichen Nachbar genießen soll und daß, wenn man dereinst vielleicht von einem Deutschen Weltreich in der Geschichte reden sollte, sie nicht auf Eroberungen begründet sein soll durch das Schwert, sondern durch gegenseitiges Vertrauen der nach gleichen Zielen strebenden Nationen, kurz ausgedrückt, wie ein großer Dichter sagt, außenhin begrenzt, im Innern unbegrenzt!«
    Er stieß mich von sich mit einer Gewalt, die mich zum Straucheln brachte. Dann setzte er sich wieder auf den Hocker. Ich sah, wie er seinen linken Arm verkrümmt hinter seinem Rücken barg, und ich sah im kalten Licht der Glühbirne die Komtesse Stasi, wie sie auf den Mann zuging, ihren Rock hob, sich auf ihn schob und auf seinem Schoß zu reiten begann, wobei sie ihre lange Zigarettenspitze nicht aus der Hand legte, sondern Qualmwolken ausstieß, die zur Lampe zogen.
    Dann sangen die beiden abwechselnd.
    Ich warte auf das große Wunder, trallala,
Von dem man so viel spricht.
     
    In Wirklichkeit ist alles anders, trallala,
Die Wunder kommen nicht.
     
    Ich denke mir die Ehe himmlisch, trallala,
So immerfort zu zwei’n,
    Das ist gewöhnlich nur im Anfang, trallala,
Dann ist man gern allein!
    Meine kleine Rolle schien zu Ende extemporiert. Weder Edwin noch die Komtesse kümmerten sich weiter um mich. Sie gaben sich ganz der Szene hin. Die Rauchschlieren über ihnen tanzten. Dafür schienen sich andere für mich zu interessieren. Aus dem dunklen Hintergrund sah ich vier Kerle auf mich zukommen. Sie trugen Fliegerstiefel und schwarze Lederjacken. Ich kannte sie bereits. Und ich wußte, Gegenwehr hatte keinen Zweck.
    Stasi sang:
»Ich lasse mich nicht bange machen, trallala,
Ich richte mir das ein schon, wie ich’s brauch’!«
     
    Edwin sang:
»Ei! - Ich finde die Idee famos, trallala,
Genauso mach’ ich’s auch!«
    Sie packten mich, zwei von hinten, an den Oberarmen und am Hals, zwei von der Seite an den Händen und Unterarmen.
    »Ich werde dich mir schon erziehen, trallala,
Es kommt nur auf ein kleines Pröbchen an!«
sang Stasi.
     
    »Gut! Du findest mich gefaßt, mein Kind, trallala,
Ich tu’ halt, was ich kann!« sang Edwin.
    Während sie mich abführten, wobei sie mich durch die Hebelwirkung meiner langen Arme niederzwangen, so daß ich mit eingeknickten Beinen und gesenktem Kopf gehen mußte, hörte ich, wie die beiden Stimmen zusammenfanden:
    »Machen wir’s den Schwalben nach,
Bau’n wir uns ein Nest!«
    Edwin und Stasi fielen übereinander her. Sie wälzten sich auf dem Boden und stöhnten dabei.
    Einmal sah ich noch etwas, ehe die muffigen Bahnen eines Samtvorhanges um mich zusammenschlugen wie die Flügel eines riesigen Falters. Ich sah die Komtesse, wie sie sich unter den Rock zwischen die Beine griff und einen silbrigen, zappelnden Fisch hervorholte. Es kann jedoch sein, wie ich heute manchmal denke, daß dies eine Halluzination war.
    Noch nie in meinem Leben war ich abgeführt worden. Jetzt erfuhr ich, wie schlimm das ist. Es glich einer Folter mit den Mitteln der Bewegung. Man wurde in eine Richtung gezwungen, in der das Unheil lauert. Abgeführt werden, das ist es, was Schlachtvieh, was Schweine auf dem Transport zum Schlachthaus wie Menschen schreien läßt. Verrückt, diese Vermenschlichung von Tieren in höchster Todesangst! Ich habe sie oft beobachtet in der Kindheit, weil wir in der Nähe einer Metzgerei wohnten. Menschen werden in vergleichbaren Situationen zu Tieren. Irgendwo treffen sich mit wachsender Angst beide Gattungen auf halbem Weg, der Mensch halb Tier, das Tier halb Mensch, zwei leidende Zentauren.
    Als meine Bewacher stehenblieben, um einem von ihnen die Möglichkeit zu geben, sich eine Zigarette anzuzünden,

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