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Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman

Titel: Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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Schläfti.
    Er lag am Boden, und ich zerrte ihn auf einen Stuhl. Er sah fürchterlich aus. Ohne Haare glich er der Karikatur eines Skins.
    Wir waren im Schminkraum. Spiegel, Waschbecken, Perücken, Trockenhauben, Cremes, Puder, es war alles vorhanden. Auch ein Regal mit den verschiedensten Bärten: Kinn-, Schnurr-, Backen-, Vollbärte in allen Größen und Farben. Schläfti begann, sich zu schminken. »Hilf mir mal«, sagte er, »wie sah der Kaiser aus? Hatte er nicht einen rötlichen Bart?«
    »Ja, mit nach oben gezwirbelten Enden.«
    Wir fanden tatsächlich einen »Es ist erreicht«, wie des Kaisers Bart im Volksmund hieß. Schläfti klebte ihn sich an. Dann stülpte er sich künstliche Haare über, blonde, leicht gewellte, nach hinten gekämmte Haare.
    »Sehe ich nicht schneidig aus?« sagte Schläfti. »Jetzt bist du dran, du bist Hermine.«
    »Das wird schwierig sein. War sie nicht klein und pummelig?«
    »Es reicht, wenn du einen schwarzen Schleier trägst.«
    Draußen sang jemand: »Mutzi, mich reißt es, Putzi, mich schmeißt es, juckend, zuckend zu dir! Hupf mit mir, du süßes Mopsi, mach mit mir ein kleines Hopsi!«
    Ich bückte mich mit der Kerze und untersuchte Schläftis Fußgelenke. Sie waren dick geschwollen, aber sie schienen nicht gebrochen zu sein.
    »Morgen kommt mein türkischer LKW-Fahrer. Meinst du, er wird den deutschen Kaiser mitnehmen?«
    Ich fand einen schwarzen Hut mit Schleier und setzte ihn auf. »Kannst du aufstehen?« fragte ich.
    Schläfti probierte es. Er schien große Schmerzen zu haben, aber er stand auf wackligen Beinen und machte kleine Trippelschritte. »Es geht«, sagte er. »Sie haben mir nichts gebrochen. Obwohl sie sagten, sie würden meine Fußgelenke genauso behandeln, wie sie es damals mit meinen Handgelenken gemacht haben.«
    »Was haben sie noch mit dir gemacht?«
    »In den Magen geschlagen. Immer wieder. Alles herausgeschlagen, was drin war.«
    »Komm, wir gehen«, sagte ich. »Man behandelt das deutsche Kaiserpaar hier nicht gut.«
    Nebenan wurde geklatscht. Dann sagte jemand »Toitoitoi, auf eine gelungene Premiere.« Türen schlugen, es wurde still.
    »Man nimmt uns hier nicht ernst«, sagte Schläfti.
    »Wir sind im Exil«, sagte ich. »Wir müssen zurück in die Heimat.«
    »Niemand will uns, weder daheim noch in der Fremde, komm, Hermine, wir gehen.«
    Ich legte meinen Arm um die Hüften des Kaisers und führte ihn hinaus. Die Bühne war leer, der Zuschauerraum verlassen. Auch im Foyer war niemand. Keine Tür war abgeschlossen.
    Dann standen wir in der Toreinfahrt. Es war später Nachmittag, der Himmel schwefelgelb. Vor uns lag die Rampe, die zur Stadt hinunterführte. Ich stellte mir vor, wie hier früher die Kutschen mit angezogenen Bremsen hinuntergerollt waren, mit brennenden Stecklaternen, Lakaien auf den Trittbrettern.
    Jetzt lag der Weg leer da, man hatte Salz gestreut, denn Schnee und Eis waren geschmolzen. Wir sahen sie gegen den dunklen Untergrund erst spät. In Mäntel gehüllte Gestalten krochen die Auffahrt hoch, einzeln, in Paaren, in Gruppen. Ein endloser Strom winterlich vermummter Seelen, die Gesichter blaß, die Augen darin wie Schneemännerkohlen, so stiegen sie aus der Schattenwelt ihres wirklichen Lebens herauf. Sie zogen an uns vorbei, die wir da standen und uns umschlungen hielten, eine stumme Prozession. Alle sahen uns, aber niemand reagierte, niemand feixte. Niemand zog den Hut oder verneigte sich. Schläfti dankte dennoch huldvoll, indem er leicht den Arm hob zu einem kaiserlichen Gruß.
    Ich weiß nicht, was die Leute von uns hielten. Vielleicht hielten sie uns für Statisten. Die Menschenschlange riß nicht ab. Der halbe Ort schien auf den Beinen. Plötzlich schlug mein Herz schneller. Ich erkannte Nadja. Sie war hell gekleidet in einen weißen Lammfellmantel. Neben ihr ging ein junger Mann. Auch er sah in seiner pelzgefütterten Lederjacke schicker aus als die meisten. Rechts und links von ihnen gingen die Eltern. Nadjas Begleiter hakte sie unter, deutete auf Schläfti und mich und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Nadja lachte. Ich war versucht, meinen Schleier zu lüften. Aber dann waren sie schon vorbei.
    Es kamen noch andere, die ich kannte. Volz und Lilli. Beide im dunklen Stoff schwerer Mäntel wie zusammengewachsen. Lilli blieb stehen, als sie mich sah. Dann löste sie sich von ihrem Mann und kam näher. Sie kniete nieder vor mir im Schnee. Plötzlich wirkte sie wie ein junges Mädchen auf ihrem ersten Ball.
    Ich bückte mich und

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