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Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman

Titel: Blendwerk - Ein Piet-Hieronymus-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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warm. Während mein Gastgeber Kaffee bereitete, musterte ich die Buchrücken. Kafka stand neben Jules Verne, Karl May neben Beckett. Ich erkannte kein System.
    Er kam mit einer Thermoskanne und zwei Tassen. »Sie fragen sich, nach welchen Prinzipien ich meine kleine Bibliothek geordnet habe? Es ist ein recht einfaches Prinzip. Entscheidend ist die Reisefähigkeit eines Buches, ich meine, wie schnell und wie weit weg ich mit ihm komme.«
    »Wieso dann Kafka und Jules Verne nebeneinander? Mit Kafka könnte man doch gerade nur bis in den Nachbarort reisen.«
    »Sie täuschen sich. Mit ihm kommen Sie bis ans Ende der Welt. Ein Stück hinter den Südpol, den äußersten Punkt, den man mit Jules Verne erreicht. Es gibt da ein vollständig weißes Zimmer. So weiß, daß man keine Ecken, keinen Boden, keine Wände sieht. Man wirft einen Schatten, aber auch der Schatten ist weiß. Ich war oft dort. Man muß sich sehr gut die Lage der weißen Tür merken, sonst findet man nicht zurück.«
    Er hielt seine Tasse mit beiden Händen und schlürfte das Getränk. Dabei zitterte er so, daß ich fürchtete, er werde jeden Augenblick einen Anfall bekommen.
    Er hatte meinen Blick bemerkt. »Keine Angst, es geht mir gut. Ich bin ganz entspannt für meine Verhältnisse. Schade, daß wir so wenig Zeit haben, sonst würde ich Ihnen die Baracken zeigen. Sie glauben nicht, wie nüchtern ein Ort des Todes sein kann, und doch spürt man ihn dort immer noch so deutlich wie auf keinem Friedhof.«
    Er sah auf die Uhr. »Sie müssen jetzt gehen. Der Gegenzug kommt bald. Ich nehme an, Sie wollen Ihren Freund jetzt herausholen. Wenn er sich gut versteckt hat, dürfen Sie niemanden auf seine Spur bringen. Fahren Sie nicht bis zum Bahnhof. Es ist besser, Sie springen vor dem Tunnel ab, der Zug fährt dort ziemlich langsam. Benutzen Sie die letzte Tür auf der linken Seite. Und springen Sie nicht in Fahrtrichtung, das erhöht Ihre Geschwindigkeit relativ zum Boden. Lassen Sie sich einfach fallen und rennen Sie schon in der Luft. Dann können Sie es ohne Verletzungen schaffen.«
    Ich ging.
    Ich hielt mich genau an die Ratschläge des verrenkten Menschen. Alles ging gut. Der Zug war fast leer. Ich war mir sicher, daß niemand meinen Absprung bemerkt hatte. Ich stand auf dem Bahndamm und wartete, bis der letzte Waggon im Dunkel des Tunnels verschwunden war. Dann folgte ich ihm. Tiefe Schwärze verschluckte mich. Schlimmer als je fühlte ich mich eingesogen, verdaut, von der Peristaltik eines feindlichen Riesen vorwärtsgeschoben. Ich war nun unter dem Schloß. Es sollte Gänge hier geben, Verbindungen mit seinen Eingeweiden. Dann endlich der Schimmer voraus! Ich rannte jetzt, bis ich endlich draußen war in der Kühle eines dunstigen, späten Wintertages.
    Ich folgte den Schienen, diesmal nicht wie ein Desperado, sondern wie ein armseliger, stolpernder Mensch. Die Leere in mir war unbeschreiblich. Sie war wie die graue Fläche des Sees, die ich jetzt durch die Bäume sah. Eine dünne Schicht Nebel lag auf ihr.
    Niemand war zu sehen. Es war in der Tat eigenartig, daß so ein schöner Park derart wenig genutzt wurde von den Einheimischen. Vielleicht scheuten sie die künstlich-feudale Atmosphäre, die auch die gärtnerischen Eingriffe einer sozialistischen Epoche nicht ganz zu zerstören vermocht hatten. Sie waren gute Untertanen, gleichgültig welcher Herrschaft gegenüber. Wenn es keinen Fürsten mehr gibt, geht man eben auch nicht in den Park.
    Ich wagte mich einige Schritte aufs Eis hinaus. Es knisterte verdächtig. Weiße, spinnwebartige Sprünge verästelten sich blitzschnell von der Stelle, auf die mein Körpergewicht drückte. Es gab keine andere Möglichkeit, als sich bäuchlings hinzulegen und über das Eis zu rutschen.
    Unter mir sah ich schwarze Wasserblasen wie große Pfauenaugen sich mit mir bewegen. Die Kälte des Eises drang allmählich in mich.
    Dann war ich am Ziel. Ich kroch auf den Bootssteg vor dem Schwanenhaus.
    »Dick«, rief ich sicherheitshalber, »bist du da drin? Ich bin es, Piet.«
    Die kleine Tür ließ sich öffnen. Ich kroch auf allen vieren hinein. Zwischen Unmengen Vogelkot saß mein Freund. Seine rechte Hand war verbunden. Mit der linken hielt er ein Buch. Im Raum stank es ätzend nach Vogelmist.
    »Ich bin Lohengrin«, sagte er. »Bist du Elsa von Brabant, meine neugierige Geliebte?«
    War er wieder einmal betrunken?
    »Du bist doch nicht etwa Piet? Dieser Holländer, der sich hier herumtreibt und nichts begreift von den

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