Goettinnensturz
MÖRDERISCHES LOGBUCH – EINTRAG 1
Deine Schuhe sind zu laut und deine Kleidung zu schwarz. Überhaupt das G’wand: Keins wie es hierher gehört. Gestern Tango Milonga, heute Polka. Ansonsten geht es dir gut, du fühlst dich fast wie daheim.
Hallo schöne Frau!
Du brauchst einen Moment, um dich angesprochen zu fühlen. Fuck you! Und schon reckst du deinen schwarz lackierten Mittelfinger.
Ein ehemaliger Schulkollege. Gleich alt wie du, doch verlebt, zersoffen, wie sein Vater.
Fesch bist, willst mitfahren?
Dass gerade der das sagt! Geschätzte 100 Kilo schwerer als früher, und immer noch so dämlich. ›Stattlich‹ würde er sich selbst nennen. Du nennst es: fett. Ausgerechnet er spricht dich an, als wärt ihr immer noch vertraut, als wärt ihr es je gewesen. Er fährt und lacht und tut, als wäre nichts dabei, dass du in seinem Auto sitzt.
Und du willst dich schon abfinden mit dem Dorf und seinen Menschen, willst es um Vergebung bitten – da steht dieses Kind, als du deinen Schuh auf die Straße setzt. Steht da mit seinem niedlichen Blondschopf und dem Original Ausseer Dirndl in Miniaturausgabe. Und wie es lacht! So klein und schon so abgefeimt. Da, du haust ihm eins in die Fresse, damit es aufhört. Aufhört mit der Niedlichkeit. Aufhört mit dem Lachen. Aufhört damit, von allen angehimmelt zu werden. Bis es losbrüllt und gar nicht mehr niedlich anzuschauen ist. Rote Wangen kriegt es und Augen voll Zorn, und du schlägst und schlägst auf es ein. Bis endlich Ruhe ist.
Nein – dass du zuschlägst, hast du nur geträumt. Da läuft nur ein Film vor deinem inneren Auge, eines dieser Splattermovies. Das Kind lacht immer noch und alle lieben es, und nirgends ist Blut.
Stattdessen stöckelst du die Hauptstraße entlang, zu der du einfach nicht passen willst. Und grüßt nur Leute, die dich zuerst grüßen. Fuck you, Ausseerland, dein Zug ist lang schon abgefahren …
Ansonsten ist es wie Heimat. Heimat. Garstiges, ewig gestriges Wort, ins Heute verschleppt.
Und es ist Frühling. Eine neue Chance. Auch fürs Dirndl?
1
Ellen. Eine Leiche. Und sie.
Berenike schloss die Augen.
Das ist jetzt bitte nicht wahr! Alles nur eine Sinnestäuschung, Schimäre, weiter nichts – bitte! Nicht heute, nicht nach allem, was …
Dieser Tag war doch viel zu schön für Grausamkeiten. Der Fasching war verbrannt, die närrische Zeit würdig verabschiedet. Die leeren Geldtascheln waren ›gewaschen‹, die letzten Feste gefeiert, der Frühling konnte kommen.
Berenike ließ sich für einen Augenblick von der unschuldigen Sonne das Gesicht wärmen, ließ sich ablenken von den lärmenden Vögeln, der nach Frühling duftenden Erde. Und wenn sie einfach weiterginge? Wenn sie täte, als ob wirklich nur ein Baumstamm im Wasser triebe – und nicht eine Person, der Berenike nie mehr zu begegnen gehofft hatte?
Immerhin war Sonntag, sie hatte doch auch ein Recht auf einen freien Tag, auf Erholung, um dem Rücken mal gut zu tun.
Und da war schließlich noch Ellen, der sie sich in Ruhe hatte widmen wollen. Endlich war es Berenike gelungen, ihrer Freundin am Wolfgangsee einen Besuch abzustatten. Ellen hatte Berenike ihre neue Wohnung gezeigt, ihr Bildhauerinnen-Atelier. Von dem Mordfall in Hallstatt, bei dem ihre gemeinsame Tanzlehrerin getötet worden war, sprachen sie hingegen nicht. Dann schon lieber von den künstlerischen Andenken, und wie Ellen diese noch besser an Touristen verscherbeln könnte, Kitsch hin oder her.
Ellen hatte ihre neueste Steinskulptur vorgeführt. »Sie ist der toten Göttin im See gewidmet, hab ich dir von ihr erzählt?«
»Nein.« Neugierig hatte Berenike auf Ellens Erläuterungen gewartet, während die schwarzen Haare das Gesicht der Freundin halb verdeckten.
»Vor Strobl liegt tief im klaren Wasser eine Steinformation, die ich für mich die ›Göttin im See‹ getauft habe. Man sieht sie nur, wenn man rausschwimmt, nicht vom Ufer aus. Vielleicht war sie wirklich einmal ein heidnisches Standbild.«
»Wer weiß!« Berenike liebte solche Geschichten, liebte es, sich vorzustellen, wie das Leben zu einer früheren Zeit gewesen sein mochte. Solche Träumereien waren viel besser als düstere Leichen und die Ergründung ihrer Todesursachen. Noch dazu in ihrer momentanen Situation. Sie fühlte sich immer noch ein wenig angeschlagen.
In Ellens Garten hatten sie dick eingemummt Earl Grey getrunken, waren schließlich gemeinsam losgezogen und genüsslich am Ufer entlangflaniert. Endlich war Berenike
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