Blessed - Für dich will ich leben (German Edition)
Schule jedoch ein wenig größer gewesen, dann hätte ich vielleicht nicht solch ein Aufsehen erregt. Aber so – in der überschaubaren Menge meiner Mitschüler – sah jeder auf den ersten Blick, dass ich hier neu war. Zum wohl tausendsten Mal in meinem Leben verfluchte ich meine rötlich wallende Mähne, die an Auffälligkeit kaum zu überbieten war.
Die zwanzig Meter über den breiten Korridor bis zur rettenden Tür des Sekretariats kamen mir wie ein Spießrutenlauf vor. Dort begrüßte mich eine nette Dame, hakte meinen Namen in einer Liste ab und fragte, ob sie mich zu meinem ersten Klassenraum begleiten solle. Ich lehnte ab, noch ehe sie ihr Angebot überhaupt ausformulieren konnte. Die gute Frau reichte mir einige Formulare, die ich noch ausfüllen musste, und ein paar andere, die ich ihr von den Lehrern unterschrieben zurückbringen sollte. Dann entließ sie mich auch schon wieder mit einem freundlichen Lächeln. „Ich wünsche dir einen wunderschönen ersten Tag, Liebes.“
Hmpf. Ja, klar! Ich schluckte schwer, rang mir ein Gegenlächeln ab, das mit Sicherheit den Anschein erregte, ich würde an Blähungen leiden, und wandte mich ab.
Das erste Fach auf meinem Plan war Geschichte. Als ich den Raum betrat, herrschte völliges Chaos. Während die Jungs sich wie Zweitklässler gegenseitig mit Kreidestücken, Papierfliegern und dem wassergetränkten Tafelschwamm bewarfen, standen die Mädchen in mehreren kleinen Gruppen zusammen, kicherten albern und lästerten provokativ über die Mädchen der jeweils anderen Gruppen.
Zunächst nahm niemand Notiz von mir, doch es kam, wie es kommen musste: Ein ziemlich breit gebauter Junge lief rückwärts, um einen der Flieger aufzufangen. Natürlich rempelte er ausgerechnet mich dabei so stark an, dass mir die Bücher aus dem Arm fielen und lautstark auf den Laminatboden klatschten. Er wirbelte zu mir herum und sah mich sekundenlang wie eingefroren an. „Wow! Du hast die grünsten Augen, die ich je gesehen habe, Kleines“, ließ er mich endlich wissen. Und mit diesem Spruch richteten sich schlagartig siebzehn Augenpaare auf mich. Plötzlich war es so ruhig im Raum, dass man die berühmte Stecknadel hätte fallen hören können. Doch die Stille währte nur kurz, bevor Pfiffe und schallendes Gelächter einsetzten. Na super!
„Du bist die Neue. Emily, richtig?“ Das Mädchen, das mich mit diesen Worten so gnädig erlöste, saß allein an dem Tisch, vor dem ich stand, und beteiligte sich nicht an den Lästereien unserer Mitschülerinnen.
Sehr sympathisch!
„Ja genau. Hallo!“, erwiderte ich und erschrak vor meiner eigenen Stimme, die vor Nervosität deutlich bebte. Schnell räusperte ich mich.
„Ich bin Kathy”, stellte sich das Mädchen vor.
Kathy trug eine schmale Brille, war dunkelblond, blauäugig und ziemlich unauffällig – weit entfernt von hässlich, aber auch nicht übermäßig hübsch. Durchschnittlich , stellte ich erleichtert fest, und beschloss, dass sie ein erstes aufrichtiges Lächeln wert war. Durchschnittlich war gut. Kein Snob. Nein, so sah sie in ihrem simplen T-Shirt und den modischen Bluejeans irgendeiner No-Name-Marke wirklich nicht aus.
Seeehr sympathisch. Dass die Chemie zwischen uns beiden von der ersten Sekunde an stimmte, blieb das einzig Positive dieses Tages.
Offensichtlich hatte es sich im Vorfeld bereits herumgesprochen, dass die Neue die Tochter eines Produzenten und Regisseurs war. Sobald wir die Klassenräume wechselten, bildeten sich Trauben neugieriger Mitschüler um mich herum, die mich mit unzähligen Fragen bombardierten.
Zu Hause in Manchester hatte ich nie im Mittelpunkt gestanden. Ich war weder besonders beliebt, noch verhasst. Nur, na ja ... schwer wahrnehmbar. Wie ein Schluck Wasser: Ich schmeckte nicht besonders, schadete aber auch niemandem und konnte bisweilen sogar nützlich sein, ohne danach zu lange im Gedächtnis zu bleiben. Das Modell Graue Maus stand mir gut und hatte, bis zu diesem Tag, immer prächtig funktioniert. Doch hier, in diesem fremden Land, an diesem neuen Ort, scheiterte meine Strategie. Am liebsten hätte ich mich irgendwo verkrochen. Tief, tief unter der Erdoberfläche.
Kathy schien sich als Einzige nicht im Geringsten dafür zu interessieren, was mein Dad machte, wie groß unser Haus war und ob ich schon zum Shoppen in die Stadt gefahren war. Ein tipptopp gestyltes, hellblondes Mädchen namens Holly, fragte schließlich das, was wohl einigen anderen ebenso auf den Zungen brannte: „Du
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