Blind ist der, der nicht lieben will
nahm Tristan das Ganze nicht mehr mit Humor.
„Nein, Misses Murphy, ich kann auch keine einstweilige Verfügung erwirken. Einen schlechten Geschmack zu haben, ist in diesem Land kein Verbrechen“, erklärte Nick zum gefühlten tausendsten Mal, da er diese Art von Gespräch nicht zum ersten Mal führte und die alte Lady mit Sicherheit nur ein paar Tage brauchen würde, um etwas Neues zu finden, mit dem sie ihn belästigen konnte. „Ja, Sie können mich jederzeit wieder anrufen. Auf Wiederhören.“
Nachdem das Tuten in der Leitung bewies, dass aufgelegt worden war, ließ Nick den Hörer geräuschvoll auf die Gabel fallen, atmete erleichtert ein und vergrub danach den Kopf in seinen Händen. In seiner alten Kanzlei hatte er solche Anrufe immer an die Neulinge abgeben können, jetzt musste er allein damit fertig werden. Normalerweise war das kein großes Problem für ihn, aber durch die Vorbereitung seines ersten eigenen Prozesses saß er seit Wochen bis tief in die Nacht im Büro und war dementsprechend dauermüde. Und dank der neuen Akten würde er auch heute nicht vor Mitternacht nach Hause kommen, denn Morgen früh stand in seinem aktuellen Fall der erste Verhandlungstag vor Gericht an. Danach folgte ein Termin im Gefängnis mit seinem Mandanten und nachmittags war er mit dem Staatsanwalt verabredet.
Wie Nick es auch drehte und wendete, er musste seine Verabredung mit Tristan zu Ians Pub zu gehen verschieben, was neuen Ärger nach sich ziehen würde, denn Ian, der alte Vietnamveteran, der den Laden führte, hatte sich schon vor ein paar Wochen bei ihm darüber beschwert, dass er ihn kaum noch zu Gesicht bekam. Aber er konnte es nicht ändern und deswegen schwieg Nick. Wie so oft in letzter Zeit, wenn ihm kein gutes Argument für eine Absage einfiel. Ganz zu schweigen davon, dass Tristan seine Worte ohnehin als Ausrede deklarieren und abschmettern würde.
„Soll ich dein Schweigen als Entschuldigung betrachten, dass du unsere Verabredung bei Ian zum vierten Mal in Folge sausen lässt?“
Ja, Tristan war genauso sauer, wie sein Gesichtsausdruck es ihn zuvor schon hatte ahnen lassen. Die Zeichen standen auf Sturm und Nick seufzte leise. Er wollte sich nicht schon wieder mit Tristan streiten. Seit er seine Kanzlei eröffnet hatte, stritten sie für seinen Geschmack ohnehin viel zu viel. Nick wusste, dass es seine Schuld war und irgendwie konnte er Tristan sogar verstehen, aber er erstickte derzeit einfach in Arbeit. Außerdem wollte er diese Kanzlei, und vor allem wollte Nick mit ihr erfolgreich werden. Das konnte er aber nicht, wenn er an den Abenden ständig durch die hiesigen Clubs zog, wie er es noch vor weniger als einem Jahr mit Begeisterung getan hatte.
Nick musste Prioritäten setzen und im Augenblick lagen die ganz eindeutig nicht bei seinem Privatleben. Wenn er genauer darüber nachdachte, hatte er nicht mal mehr eines. Jämmerlich, aber nicht zu ändern. Wieso konnte Tristan ihn nicht wenigstens ein bisschen verstehen? Er hatte doch selbst genug zu tun. Warum war es bei seinem Freund in Ordnung, wenn der eine Verabredung sausen ließ, während er überall nur noch als der große böse Wolf dastand?
Kopfschüttelnd schob Nick seinen letzten Gedanken beiseite. Er führte sich gerade auf wie ein schmollendes Kleinkind und das war nun wirklich erbärmlich. Er hatte heute keine Zeit, um auszugehen, basta. Ob Tristan das gefiel, oder wohl eher nicht gefiel, ändern konnte er es ohnehin nicht. „Es tut...“
„Sag es nicht!“, fuhr Tristan ihm wie erwartet über den Mund und im nächsten Moment verkündeten energische Schritte, dass Connors Bruder aufgestanden war und in Richtung Tür lief. „'Ich habe keine Zeit, ich muss arbeiten'“, äffte Tristan seine eigenen Worte nach, woraufhin Nick das Gesicht verzog, weil es abwertend klang. „Ich kann es nicht mehr hören, Nick. Solltest du irgendwann in diesem Jahr ein oder zwei Stunden deiner ach so kostbaren Zeit für deinen angeblich besten Freund erübrigen können, ruf mich an.“
Das war beleidigend und es tat weh. Sehr sogar. Nick sah auf. „Tris... bitte. Dieser Fall ist wichtig für mich.“
Tristan schnaubte nur und riss die Tür auf. Die Hand an der Klinke drehte er sich um und sah ihn enttäuscht an. „Jeder Fall ist dir seit Monaten wichtiger als deine Freunde, Nick. Aber das solltest du besser Daniel und Connor erklären, die bei Ian auf uns warten. Happy Birthday, du Vollidiot.“
Das Zuknallen der Bürotür riss Nick aus seinem
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