Blindes Grauen
1
Hank Gooch zog das glühende Stück Stahl ein letztes Mal durch die fauchende Flamme des Schmiedefeuers, nahm die Klinge heraus, stieß sie ins Wasser. Das Schwert, das er soeben geschmiedet hatte, zischte wütend, als es auf das Wasser traf. Dampf stieg in die Luft.
Er konnte die Klinge im brodelnden Wasser sehen, der Stahl wandelte sich in einem Augenblick aus Rot in Schwarz und bog sich aufgrund der wilden Kräfte, die beim Abschrecken auftraten.
Dann hörte er einen leisen Laut aus dem Stahl.
Tink.
Es war ein Geräusch, mit dem ein Dutzend Arbeitsstunden zunichtegemacht wurden. Er wartete noch zehn Sekunden, dann zog er die Klinge aus dem Wasser, und da war er, ein daumenbreiter Riss in der Schnittfläche.
Seit Gooch vor sechs Monaten in Frührente gegangen war, hatte er zu lernen versucht, wie man japanische Schwerter schmiedete. Erfolglos. Er hatte alle Bücher über das Thema gekauft, alle DVDs, er war auf Seminaren und Schmiede-Workshops gewesen, er hatte alles getan, was man konnte, um herauszukriegen, wie die verdammten Dinger gemacht wurden, aber jedes Schwert, das er schmiedete, war schlimmer als das davor. Wenn es sich nicht schon beim Schmieden zu einem Korkenzieher verdrehte, dann zerbarst es beim Abschrecken. Wenn es nicht brach, dann verbog es sich. Wenn es sich nicht verbog, dann zersplitterte es spätestens, wenn man versuchte, etwas mit dem Ding zu schneiden. Irgendwas war immer.
Vor sechs Monaten hatte er gedacht, wenn er in Frührente ginge und anfinge, Schwerter zu schmieden, könnte er genug dazuverdienen, um mit seiner gekürzten Pension gut klarzukommen.
Aber bislang hatte er keine einzige Klinge zustande gebracht, die man hätte verkaufen können. Deswegen sah es mit dem Geld ein bisschen problematisch aus. Es war einfach, verdammt noch mal, viel schwieriger, Schwerter zu schmieden, als es aussah.
Überall im Raum lag der Murks herum, den er in sechs Monaten harter Arbeit zustande gebracht hatte. Verbogene, verdrehte, geborstene und auf die eigenartigste Art nutzlose Stahlstücke – die Hälfte von ihnen steckte in der Wand, die andere Hälfte lag auf einem Haufen am Boden. Er trug den neuesten Stahlmüll durch das Zimmer in Richtung des Haufens und wollte sie in der Holztüre seines Schuppens enden lassen. Er war gar kein schlechter Messerwerfer, also verschaffte ihm wenigstens das dann und wann Erleichterung – eine kaputte Klinge, die mit einem satten Schmatzen in der Wand stecken blieb.
Aber gerade als das Werkstück seine Hand verließ, flog die Tür seines Schuppens auf. Die Klinge segelte durch die Öffnung hinaus, knapp vorbei am Kopf eines jungen Mannes, den Gooch nicht kannte.
»Ahhhh!« Der junge Mann verschwand; er kreischte wie ein Mädchen.
Gooch legte die Arme über Kreuz und wartete.
»Sir? Sir?« Eine schwache Stimme. Vorsichtig tastete sich eine Hand um den Türrahmen, sie hielt ein Mäppchen mit einer Marke darin hoch. »Sir? Hier ist Detective Floss. Cody Floss. Atlanta Police Department, Cold Case Unit. Sir? Sir?«
Gooch sagte nichts.
Der Kopf des Mannes tauchte wieder auf, er schaute furchtsam am Türrahmen vorbei. Eigentlich war es eher ein Junge als ein Mann. Dünnes blondes Haar, das ihm ausgehen würde, bis er dreißig war, ein fusseliger kleiner Schnauzer. Ein billiger schwarzer Anzug mit einer Krawatte, die nicht sonderlich kunstvoll geknotet war. Der Junge musste vor ungefähr zehn Minuten zum Detective ernannt worden sein.
»Sir? Lieutenant?«
Was Gooch anging, so war er kein Lieutenant mehr. Er verachtete diese alten Säcke, die herumliefen und sich auch noch in Rente mit ihrem Rang anreden ließen. Wie diese Clowns, die beim Marine Corps aufhörten und sich dann dreißig Jahre lang Colonel nannten. Entweder man war Zivilist, oder nicht.
»Sir, der Chief hat mich geschickt.«
Der Chief. Dieser Idiot. »Na toll.«
Der Junge schluckte. »Sir, jetzt, wo Sie hier auf dem Land leben, kennen Sie vielleicht nicht die neuesten Nachrichten? Ich weiß, dass Sie und Chief Diggs nicht immer besonders gut miteinander ausgekommen sind und so. Aber er ist nicht mehr der Chief.«
Gooch runzelte die Stirn. Er lebte seit sechs Monaten hier draußen in Troup County und las selten Zeitung oder schaute Fernsehen – meine Güte, da entging einem schon manches.
»Haben Sie das nicht gehört, Lieutenant? Chief Diggs ist jetzt Bürgermeister von Atlanta.«
War das nicht großartig. Genau das brauchte die Stadt Atlanta, einen janusköpfigen opportunistischen
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