Blitz wird herausgefordert
Morgen die Augen aufmachte, merkte er, daß der Sommer vorbei war. Das Thermometer zeigte nur noch knapp 10 Grad Wärme, zudem wehte ein heftiger kalter Wind, der einem durch Mark und Bein drang. Als er ins Freie kam, sah er, wie tief und drohend die Wolken sich am Himmel zusammenballten. Er machte sich gemächlich an seine Arbeit, weil er wußte, daß Henry erst spät am Vormittag auftauchen würde. Somit gab es für Blitz und ihn selbst eine wohlverdiente Ruhepause, die er vergnügt genoß.
Der Regen rauschte immer noch gleichmäßig vom Himmel, als Henry kurz vor zwölf erschien. Er war blau vor Kälte, obwohl er einen Mantel trug, den er sich geliehen hatte.
»Ich bin bis jetzt im Bett geblieben«, sagte er. »Bei diesem Wetter möchte ich mit Blitz nicht arbeiten.«
Alec nickte. Er hätte einwenden können, daß durchweichter Boden und Kälte für Blitz nie einen Hinderungsgrund bedeutet hatten, aber er schwieg.
»Dies Wetter ist so abscheulich, daß es einen in den Norden zurücktreiben könnte«, klagte Henry.
Ein schwerer Windstoß fegte durch die Stallgasse, und gleichzeitig teilte ein Blitz den Himmel.
»Vielleicht gibt es Schnee oder einen Wirbelsturm«, sagte Alec. »Beides wird die Besucher am heutigen Nachmittag von der Bahn fernhalten.«
»Aber wir beide werden auf der Tribüne sein«, erklärte Henry, »wir müssen arbeiten...«
»Das habe ich mir gedacht«, gab Alec verdrossen zurück, »sonst wärst du im Bett geblieben.« Es gab viele andere Orte, an denen er diesen Nachmittag lieber verbracht hätte als auf der Zuschauertribüne in Hialeah.
Als das erste Rennen begann, saß Alec mit Henry auf der Tribüne, fröstelnd und unbehaglich, zusammen mit etwa fünftausend anderen Rennbegeisterten, die sich nicht hatten abhalten lassen. Die dünnbeinigen Flamingos im Innenfeld wirkten nackt und verfroren. Wenn man ihnen die Flügel nicht sorgsam beschnitten hätte, so daß sie nicht weit fliegen konnten, wäre die ganze Schar ohne Zweifel südwärts geflogen.
Immer noch goß es beharrlich, und die weite braune Fläche hinter den Tribünen war mit Pfützen übersät. Die unter dem Dach der Haupttribüne sitzende Kapelle tat ihr möglichstes, um die Leute aufzumuntern.
Ein Gehilfe des Starters überquerte die Bahn; er mußte seine in hohen Gummistiefeln steckenden Beine bei jedem Schritt mühselig aus dem Matsch ziehen.
Alec sagte: »Es wird nicht mehr lange dauern, bis so stark durchweichte Bahnen verschwinden. Ein Kunststoffbelag wird an ihre Stelle treten. Erinnerst du dich noch an den Versuch, den man damit voriges Jahr in Saratoga unter der Startmaschine gemacht hat? Es war nur bedauerlich, daß sie nicht die ganze Bahn bis ins Ziel damit ausgelegt hatten.«
Henry nickte nachdenklich. »Wahrscheinlich werden wir diesen Fortschritt noch erleben.« Er schwieg, um dem Hornsignal zu lauschen, das zum Fertigmachen für das erste Rennen rief. Dann fuhr er fort: »Ich habe viele gute Pferde bei einem Geläuf wie diesem hier so schwer zu Fall kommen sehen, daß sie getötet werden mußten.«
Das erste Rennen des Tages war ein Dreijährigenrennen über 1600 m. Ein rotgekleideter »Marschall« kam aus dem Tunnel, der vom Sattelplatz auf die Bahn führte. Acht Pferde folgten ihm. »Ich möchte, daß du heute genau auf Manizales achtest«, sagte Henry. »Vielleicht kannst du etwas lernen.«
Manizales ritt die reizbare junge Stute, der er gestern den letzten Schliff gegeben hatte. Beim genauen Hinsehen bemerkte Alec, daß sie sehr nervös war. »Sie liebt das weiche Geläuf nicht«, stellte er fest. »Sie tritt fest auf und sinkt ein. Für sie paßt ein hartes Geläuf weit besser.«
»Vorläufig paßt dem Fräulein noch gar nichts!« berichtigte Henry. »Gerade aus dem Grunde möchte ich, daß du aufpaßt, wie Many mit ihr fertig wird! Sie ist mit ihren nervösen Possen ein übler Außenseiter in diesem Feld, ein Schrecken für alle anderen, die Trainer eingeschlossen.«
»Und heute natürlich noch schlimmer als an anderen Tagen.«
»Es kommt darauf an, aus welcher Perspektive man es sieht«, erklärte Henry. »Bei ihrem letzten Start als Zweijährige scheute sie vor einem Schatten und prallte gegen den Zaun. An einem Tag wie diesem braucht sie nicht einmal den Anlaß eines Schattens, um Dummheiten zu machen. Aber wer weiß, ob das nicht gut ist. Wenn sie in diesem Rennen außer Kontrolle gerät und die anderen behindert, könnte es sein, daß man sie nachher sperrt.«
»Dann kann es zu spät
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