Blondes Gift
21:13 Uhr
Liberties Bar, Internationaler Flughafen Philadelphia
I ch habe Ihren Drink vergiftet.« »Wie bitte?«
»Sie haben mich schon verstanden.«
»Äh, ich glaube nicht.«
Die Blondine hob ihr Glas. »Zum Wohl.«
Doch Jack erwiderte ihre Geste nicht. Er ließ die Hand an seinem Halbliterglas liegen, in dem sich noch ein Rest Bier mit einem Schuss Whisky befand und an dem er die vergangenen fünfzehn Minuten genippt hatte.
»Sagten Sie gerade, Sie haben mich vergiftet ?«
»Kommen Sie aus Philadelphia?«
»Womit haben Sie mich vergiftet?«
»Wären Sie wohl so freundlich, die Frage einer Dame zu beantworten?«
Jack blickte sich in der Flughafenbar um, die wie ein Lokal aus der Kolonialzeit aufgemacht war, nur zusätzlich mit Neonreklame für Bier. Anstelle von zwei weiteren Flugsteigen hatte man mitten im Terminal eine rechteckige Bar errichtet, um die sich ein Haufen kleiner Tische drängte. Wenn man an der Bar bedient wurde, blickte man auf die Rückseite der Neonschilder – dunkles Metall, Röhren und Staub -, auf einen verbeulten Eiskübel, auf rote Plastikausgießer, die in Flaschen mit Tequila, Wodka und Whisky steckten,
und einen Serviettenspender aus Kunststoff mit der Aufschrift JACK & COKE: AMERICA’S COCKTAIL.
Für Pendler mit langem Zwischenstopp war das hier die einzige Aufenthaltsmöglichkeit. Denn wer wollte schon den ganzen Abend Freiheitsglocken aus Plastik und Rocky-T-Shirts kaufen? Die Bar war proppenvoll.
Doch komischerweise schien keiner gehört zu haben, was die Frau gesagt hatte. Weder der Typ im grauen Anzug, der neben ihr stand, noch der Barkeeper mit der schwarzen Weste, der seine weißen Ärmel bis zum Ellbogen hochgekrempelt hatte.
»Soll das ein Witz sein?«
»Dass Sie aus Philadelphia sind?«
»Dass Sie mich vergiftet haben.«
»Ach das. Also noch mal zum Mitschreiben: Ja, ich habe Sie vergiftet. Ich habe eine geschmack- und geruchlose Flüssigkeit in Ihr Bier geträufelt, während Sie damit beschäftigt waren, einer Brünetten mit Knackarsch und riesigen Brüsten hinterherzustarren. Die mit dem Handy, die sich gerade mit den Fingern durchs Haar fährt.«
Jack überlegte. »Na schön. Und wo ist die Pipette?«
»Was für eine Pipette?«
»Mit der Sie das Gift in meinen Drink geträufelt haben. Irgendwas müssen Sie ja benutzt haben.«
»Oh, ich zeig Ihnen die Pipette. Aber erst müssen Sie mir meine Frage beantworten. Kommen Sie aus Philadelphia?«
»Ist das so wichtig? Sie haben mich gerade vergiftet,
und ich bin dabei, in Philadelphia zu sterben, also werde ich von jetzt an wohl immer in Philadelphia sein.«
»Es sei denn, man überführt Ihre Leiche.«
»Ich meinte meinen Geist. Mein Geist wird immer in Philadelphia sein.«
»Sie glauben an Geister?«
Jack musste über sich selbst grinsen. Das hier war herrlich schräg. Er hatte das Unvermeidliche hinausgezögert – eine Taxifahrt durch eine fremde Stadt, zu einem öden Hotelzimmer für Geschäftsreisende, um dort ein wenig zu schlafen, bevor er am Morgen zu seiner gefürchteten Verabredung aufbrach.
»Zeigen Sie mir die Pipette.«
Die hübsche Blondine erwiderte sein Lächeln. »Nicht, solange Sie mir nicht meine Frage beantwortet haben.«
Was konnte schon passieren? Zugegeben, das war vielleicht die ungewöhnlichste Anmache, die er je erlebt hatte – wenn es denn eine war. Genauso gut konnte das der Einstieg in ein raffiniertes Betrugsmanöver sein, gemünzt auf müde Geschäftsreisende in Flughafenbars. Aber das war okay. Jack wusste: Wenn das Gespräch darauf hinauslief, dass er seine Brieftasche zücken oder seine Sozialversicherungsnummer verraten sollte, würde er es sofort beenden. Kein Problem.
»Nein, ich bin nicht aus Philadelphia.«
»Sehr gut. Ich hasse Philadelphia.«
»Sie kommen von hier, nehme ich an.«
»Ich bin nicht von hier, und die Stadt kann mir gestohlen bleiben.«
»So schlimm?«
»Was kann einem hier schon gefallen?«
»Die Freiheitsglocke?«
»Witzig, dass Sie das erwähnen. Ich habe im Bordmagazin darüber gelesen. Auf der Rückseite stellen sie immer die Geschichte von irgendeinem berühmten Nationaldenkmal vor; einmal im Monat, oder wie oft das Magazin eben rauskommt. Jedenfalls ist die Freiheitsglocke zerbrochen, als sie zum ersten Mal geläutet wurde.«
»Das war 1776.«
» Falsch. Sie hätten diesen Artikel lesen sollen, mein Freund. Philadelphia macht seit Ewigkeiten Geschäfte mit einer Lüge . 1776 wurde sie überhaupt nicht geläutet. Und noch
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