Blondine ehrenhalber
Zumal jeder, der genug Zeit, Energie, Geld und guten Willen aufbrachte, hübsch sein konnte. Auch ohne Fitnesstraining, Make-up und Schönheitschirurgie hatte Frank — so fand sie — eine ganz passable Ausstrahlung. Bauarbeitern entlockte sie ein anerkennendes Pfeifen, Einpackhilfen an der Kasse im Supermarkt nannten sie dagegen »Ma’am«.
Amanda liebte die Nachsilbe »-er«. Frank bekam immer wieder von ihr zu hören, dass ihr Hübsch-Intelligent-Komplex für ihre persönliche Entwicklung nicht gerade vorteilhaft wäre. Sie, Amanda, sei ja vielleicht hübscher und Frank intelligenter. Aber sowohl Attraktivität als auch Intelligenz seien schließlich kulturell festgelegt. Wer könne schon mit Sicherheit behaupten, dass für die Menschen in Tanger nicht Amanda hässlicher und geistreicher als Frank war? Immer wenn Amanda ihre eigene Art von Logik bemühte, bekam Frank Kopfschmerzen. Und warum ausgerechnet Tanger?
Amanda trug heute einen wallenden Glockenrock, der völlig unpassend war bei diesem Wetter, einen Kaschmirpulli und schwarze Clogs mit breiten Absätzen. Wenn sie sich bewegte, tippte der Rock an ihre Knie und betonte ihre Beine, so dass sie noch länger wirkten. Sie ging über den knarrenden Holzboden hinüber zur Cappuccino-Maschine, die bereits seit etwa einem Monat kaputt war. Amanda strich über die bronzene Verkleidung, als könnte sie die Maschine durch die bloße Berührung wieder zum Leben erwecken. »Weißt du, was uns aufheitern würde?«, fragte sie. »Lass uns einkaufen gehen und eine neue Maschine besorgen.«
Frank lachte auf. »Einkaufen?«
»Was gibt es da zu lachen?«
»Wir haben kein Geld für eine neue Cappuccino-Maschine.«
»Ach, komm, dann kaufen wir eben so eine süße kleine von Krups. Eine mit der Düse an der Seite.«
»Ich glaube nicht, dass wir unseren Ruin mit einer Cappuccino-Maschine aufhalten, mit der man nur ein Getränk pro Durchlauf hersteilen kann«, gab Frank zu bedenken. »Aber ein neues großes Modell für den Cafébetrieb können wir uns nicht leisten. Und ohne eine neue Maschine verdienen wir so gut wie nichts.« Dabei war nicht mal gesagt, dass der Besitz einer funktionstüchtigen Cappuccino-Maschine die Massen vom Moonburst wieder zurück ins Barney Greenfield’s geholt hätte, wo sie eigentlich hingehörten. Amanda und Frank bewirtschafteten das Café seit dem Tod ihrer Eltern im vergangenen Jahr. In weniger als fünfzig Wochen hatten sie es heruntergewirtschaftet.
»Heißt das, wir sitzen im Hemd da?«, erkundigte sich Amanda.
»Das würde dir so passen«, entgegnete Frank.
Amanda lachte großzügig. Mit einer spielerischen Bewegung drehte sie ihr Haar zu einem Knoten.
»Wenn sich in den nächsten, tja, sagen wir zehn Minuten nichts radikal verändert, ist es aus mit dem Café«, sagte Frank.
Amanda schüttelte traurig den Kopf. Ihre weichen braunen Locken lösten sich aus dem Knoten und strichen ihr kitzelnd über die Wangen. Ohne den Blick von Frank abzuwenden, brachte sie ihr Haar wieder in Ordnung. »Nach der Ebbe kommt bestimmt wieder die Flut«, beschwichtigte sie.
»Die Flut kommt bestimmt, aber die Flutwelle bleibt aus«, antwortete Frank. »Kennst du die Art von Pessimisten: Sie buddeln ganz tief und kramen dann doch noch irgendwo etwas Optimismus heraus, wenn alles verloren scheint?«
»So möchtest du sein?«, hakte Amanda nach.
»Genau.«
»Nein, von denen habe ich noch nie etwas gehört.« Amanda knabberte an ihren lackierten Nägeln. »Gut, ich gebe zu, dass alles schon einmal rosiger ausgesehen hat. Gestern zum Beispiel.«
»Gestern hat es geregnet.«
»Ich meine das doch nicht wörtlich.«
Wann hatte Amanda je etwas wörtlich gemeint? Frank fragte sich, wie das Leben in ihrem rosaroten Traumland wohl aussah. Die ganze Verantwortung für das Geschäft lastete auf Franks zarten Schultern. Das Café war seit 49 Jahren von Angehörigen der Greenfield-Familie geführt und betrieben worden. Seit 1950 hatten zuerst Opa Barney, dann ihre Eltern und jetzt die beiden Schwestern den Bewohnern von Brooklyn Heights Gourmet-Kaffee und Gebäck serviert. Das Barney Greenfield’s, ein im Viertel alteingesessenes Café, hatte der Familie zwar nie Reichtum beschert, es aber doch ermöglicht, dass jeder das College besuchen konnte. Als die Schwestern die Leitung übernahmen, war es darum gegangen, das Barney Greenfield’s in das fünfzigste Jahr zu führen — trotz der Konkurrenz von nebenan. Während Frank von Anfang an Zweifel hegte, was
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