040 - Die Monster aus der Geisterstadt
Von irgendwoher aus dem Dschungel ertönte die schaurige Kakophonie der Brüllaffen, als Jean Daponde die Tempelanlagen der Inka-Stadt Manoa betrat.
Er hatte es eigentlich noch immer nicht recht fassen können, daß er sich im sagenumwobenen El Dorado befand. So phantastisch die Geschichte war, die Dorian Hunter ihnen aufgetischt hatte – Jean Daponde war an einem ganz anderen Phänomen interessiert. Er wollte das Rätsel der schlafenden Inka-Prinzessin ergründen. Und er glaubte, daß er sich auf dem richtigen Weg befand.
Seine Gefährten hatten sich bei dem Gebäude, in dem sie Quartier bezogen hatten, zu einer Lagebesprechung zusammengefunden. Sie berieten, wie sie bei der Schatzsuche vorgehen sollten. Jean Daponde ließ das Gold, das irgendwo in den Gewölben von Manoa verborgen sein mochte, kalt. Das Quipu, das Dorian Hunter ihm zur Entschlüsselung überlassen hatte, über die Schulter geworfen, marschierte er zielstrebig auf das Tor des dreißig Meter hohen Sonnentempels zu. Es erinnerte ihn mit seinen vielen Steinreliefs irgendwie an das berühmte Sonnentor am Titicacasee, obwohl sich die dargestellten Szenen grundlegend voneinander unterschieden.
Als er nun noch wenige Schritte von dem stufenförmig angeordneten Pyramidentempel entfernt war, traten aus dem Inneren vier Priester durch das Tor ins Freie. An ihrer Kleidung erkannte der Inka-Forscher sie sofort als Angehörige der Kaste der Opferpriester. Er schauderte, als er sich unwillkürlich fragte, wie viele Menschen von ihnen schon geopfert worden waren. Doch mit dem Tod des Dämons war hoffentlich auch das sinnlose Morden vorüber. Seitdem legten die Opferpriester sogar eine überraschende Unterwürfigkeit an den Tag.
Huica, der Wortführer der Priester, kniete plötzlich vor Daponde nieder, senkte demütig das Haupt, und sagte in altertümlichem Spanisch: »Seid gnädig, Konquistadores, und stört nicht den heiligen Schlaf der Prinzessin Machu Picchu!«
Daponde hatte nicht vor, sich auf Diskussionen einzulassen, sondern wollte von seiner Autorität Gebrauch machen, um ans Ziel zu kommen. Von Dorian Hunter und im Umgang mit den Inkas hatte er deren Sprache ein wenig gelernt, so daß er sich leidlich mit ihnen verständigen konnte.
»Gebt den Weg frei!« verlangte er barsch.
Die Priester zögerten. Huica erhob sich langsam. In seinem Gesicht zuckte es. Er schien noch einen Einwand vorbringen zu wollen, doch als er Dapondes entschlossenen Blick sah, wußte er, daß jede Widerrede zwecklos war. Die Priester zogen sich in den heiligen Bezirk zurück, wo ihre Unterkünfte lagen.
Daponde sah ihnen nach, bis sie seinen Blicken entschwunden waren, dann betrat er das Innere des Sonnentempels, in dem die schlafende Machu Picchu aufgebahrt war.
Es gab nur einen einzigen Raum, der verhältnismäßig schmucklos war. Er wurde von einem halben Dutzend Fackeln erhellt. An der einen Wand hing die unvermeidliche Sonnenscheibe aus purem Gold. Aber sie war das einzig Wertvolle. Die sonst üblichen Ziergegenstände, die die Inkas den von ihnen verehrten Toten beistellten, fehlten; es gab nicht einmal Vasen, Krüge oder Schalen aus Porzellan.
In der Mitte stand ein grob behauener Steinquader, der zwölf Fuß lang, sechs Fuß breit und drei Fuß hoch war. Der Stein war vom getrockneten Blut der Opfer dunkel gefärbt; das Blut klebte in zentimeterdicken Schichten darauf und bildete Klumpen, die wie Wucherungen aussahen.
Und auf diesem Sockel lag Machu Picchu. Sie sah wie eine Schlafende aus – und sie schlief wohl auch tatsächlich. Es war bisher nicht gelungen, sie zu wecken. Der Biologe James Rogard hatte sie untersucht. Ihr Puls schlug nicht, und als er ihr einen Spiegel vor Mund und Nase hielt, beschlug dieser nicht; sie schien nicht zu atmen. Dennoch war auch der Biologe überzeugt, daß sie nicht tot war.
Der Dämon hatte sie in diesen Zustand versetzt. Deshalb verblüffte es alle Eingeweihten – und besonders Dorian Hunter –, daß sie nach seinem Tod nicht aufgewacht war. Nur Jean Daponde wunderte sich nicht. Er hatte das Quipu auf seiner Schulter soweit entziffert, daß er es für den Zustand der Inka-Prinzessin verantwortlich machte.
Das Quipu barg aber noch Geheimnisse, die er bislang nicht gelöst hatte. Verschiedene Anzeichen wiesen auf einen Zauber hin, der weit über den Tod des Dämons hinausreichte. Und einige Knoten deuteten auch auf einen Jahrhunderte währenden magischen Kalender hin. Konnte das bedeuten, daß die Vergangenheit mit der
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