Bloodlines: Die goldene Lilie (German Edition)
zu leiden, aber das verdiente er nicht.
»In Hinsicht auf dich hatten sie recht«, fügte Tom hinzu. Er versuchte zu lächeln, jedoch erfolglos. »Was für ein herausragendes Vorbild du bist. So pflichtbewusst. Dein Vater muss so stolz auf dich sein. Ich weiß nicht, wie du jeden Tag mit diesen Kreaturen zusammenleben und trotzdem einen klaren Kopf behalten kannst. Andere Alchemisten könnten eine Menge von dir lernen. Du verstehst, was Verantwortung und Pflicht bedeuten.«
Seit ich gestern aus Palm Springs abgeflogen war, hatte ich tatsächlich viel über die Gruppe nachgedacht, die ich zurückgelassen hatte – natürlich nur, wenn mich die Alchemisten gerade nicht mit Gefangenen ablenkten. Jill, Adrian, Eddie und selbst Angeline … frustrierend bisweilen, aber am Ende waren sie doch Leute, die ich kennen und mögen gelernt hatte. Obwohl ich so viel wegen ihnen herumrennen musste, hatte ich diese bunt zusammengewürfelte Gruppe beinah in der Sekunde schon vermisst, in der ich Kalifornien verließ. Wenn sie nicht in der Nähe waren, schien mir irgendetwas zu fehlen.
Dieses Gefühl verwirrte mich. Verwischte ich damit die Grenzen zwischen Freundschaft und Pflicht? Wenn Keith wegen einer kleinen Verbindung zu einem Vampir in Schwierigkeiten geraten war, wie viel schlimmer war ich dann eigentlich? Und wie nahe daran war irgendeiner von uns, so zu werden wie Liam?
Zekes Worte hallten in meinem Kopf wider. Wir können nicht zulassen, dass wir Sympathie für sie empfinden.
Und was Tom gerade gesagt hatte: Du verstehst, was Verantwortung und Pflicht bedeuten. Er beobachtete mich erwartungsvoll, und ich brachte ein Lächeln zustande, während ich all meine Ängste beiseiteschob. »Vielen Dank, Sir«, erwiderte ich. »Ich tue, was ich kann.«
Kapitel 2
I n dieser Nacht schlief ich nicht. Zum Teil lag es einfach an der Zeitumstellung. Mein Flug zurück nach Palm Springs war für sechs Uhr früh angesetzt – was in der Zeitzone, in der sich mein Körper noch immer glaubte, drei Uhr morgens war. Da schien Schlafen sinnlos.
Und natürlich gab es die winzig kleine Tatsache, dass mir nach allem, was ich in dem Alchemistenbunker erlebt hatte, jede Entspannung schwerfiel. Wenn ich nicht gerade Liams irre Augen vor mir sah, ging ich im Geiste die ständigen Warnungen durch, die ich über jene Leute gehört hatte, die Vampiren zu nahe kamen.
Die Situation wurde auch dadurch nicht besser, dass ich einen Haufen Mails von der Bande in Palm Springs erhalten hatte. Normalerweise rief ich meine E-Mails automatisch über mein Telefon ab, wenn ich unterwegs war. Jetzt, in meinem Hotelzimmer, wo ich die verschiedenen Mails anstarrte, kamen mir Zweifel. Waren sie wirklich professionell? Oder waren sie zu freundlich? Überschritten sie die Grenzen des Alchemistenprotokolls? Nachdem ich gesehen hatte, was Keith widerfahren war, schien es mir offensichtlicher denn je, dass nicht viel dazugehörte, Schwierigkeiten mit meiner Organisation zu bekommen.
Eine Nachricht kam von Jill, und in der Betreffzeile stand schon: Angeline … seufz.
Das war keine Überraschung für mich, und ich machte mir jetzt noch nicht die Mühe, die Mail zu lesen. Angeline Dawes, ein Dhampirmädchen, das man zu Jills Mitbewohnerin bestimmt hatte und das eine zusätzliche Sicherheitsmaßnahme darstellen sollte, hatte ein wenig Probleme gehabt, sich in Amberwood einzuleben. Wegen irgendetwas hatte sie immer Schwierigkeiten, und was es diesmal auch sein mochte, im Augenblick konnte ich nichts für sie tun.
Eine andere Mail kam von Angeline selbst. Die las ich ebenfalls nicht. In der Betreffzeile stand: LIES DAS ! VOLL WITZIG ! Angeline hatte das Medium E-Mail erst kürzlich entdeckt. Nicht entdeckt hatte sie anscheinend aber, wie man die Feststelltaste ausschaltete. Auch leitete sie ohne Unterschiede Witze, blödsinnige Börsennachrichten oder Viruswarnungen weiter. Und apropos … wir hatten auf ihrem Laptop schließlich eine Jugendschutzsoftware installieren müssen, um ihr den Zugang zu gewissen Websites und Adds zu sperren, und zwar – nachdem sie sich tatsächlich vier Viren gefangen hatte.
Es war die letzte E-Mail in meinem Eingangsfach, die mich stutzen ließ. Sie kam von Adrian Ivashkov, der einzigen Person in unserer Gruppe, die sich nicht als Schüler der Amberwood School ausgab. Adrian war ein einundzwanzig Jahre alter Moroi – es wäre also ziemlich schwierig gewesen, ihn als Schüler einer Highschool auszugeben. Adrian war dabei, weil er und Jill
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