Bluescreen
von Subkultur reden, dann reden wir immer von einer Kultur, die von Teenagern bestimmt wird, jedenfalls in Amerika. Und die Musik ist das Herzstück jeder Jugendkultur.
Ich weiß genau, wann ich den großen Fehler beging. 1989 kam ich auf die Highschool, und ältere Schüler begannen, mir Kassetten weiterzugeben. Meistens waren es irgendwelche Bands, die man in keinem Laden kaufen konnte. Zumindest nicht in den Geschäften, die ich damals frequentierte. Ich hörte also Dinosaur Jr., Hüsker Dü, die Replacements, die Pixies, Velvet Underground usw. Irgendwann, es war die Woche, in der die Weichen gestellt wurden – warum hat mich bloß niemand gewarnt? –, steckte man mir Complete Discography von Minor Threat und It Takes a Nation of Millions to Hold us Back von Public Enemy zu.
Public Enemy hatten sich schon seit einiger Zeit in meinem Bewusstsein eingenistet. Ihre Sachen bekam man auch in meinem heimatlichen Vorort-Plattenladen, eine der sonderbaren Folgen der Verflechtung des Hip-Hop-Business mit dem Massenkonsum. Außerdem hatte ich Public Enemy bereits früher in jenem Sommer gehört, inder langen Anfangssequenz von Spike Lees Film Do the Right Thing . Wie Rosie Perez darin zu »Fight the Power« tanzt, fand ich einfach überwältigend. Ich sah den Film dienstags in einer Matinee, taumelte nach Hause, und kuckte ihn mir gleich am nächsten Tag noch einmal an. Der Refrain von »Fight the Power« bedeutet mir beinahe so viel wie die amerikanische Nationalhymne, auch wenn ich bis heute nur heimlich und leise mitsummen kann, ohne mich ganz fürchterlich zu schämen (»Fight the power! – We’ve got to fight the powers that be!«). Ich erinnere mich sehr gut daran, wie diese Zeilen mein kindliches Bewusstsein aufweckten:
»Elvis was a hero to most, but he never meant shit to me
Was he straight up racist, a sucker, or simple and plain?
(Motherfuck him and John Wayne!)
’Cause I’m black and I’m proud, I’m ready, I’m hyped
plus I’m amped
Most of my heroes don’t appear on no stamp.«
»Wer waren diese geheimen Helden?«, fragte ich mich damals. Und sollten es nicht auch meine Helden sein?
Minor Threat hatten einen ganz anderen Effekt auf mich. Minor Threat war eine Hardcore-Postpunk Band aus Washington, D.C. Die Texte wurden geschrien, das Schlagzeug war superschnell, treibend und direkt, keine Spur vom Funk, Swing oder von den schleppenden Rhythmen der schwarzen Musik. Politisch waren ihre Texte geprägt von puritanischer Opposition gegen ein Amerika, das genauso böse war und alles Gute erstickte wie das in den Songs von Public Enemy. Ihre Haltung verband das schlechte Gewissen der Linksliberalen mit derEmpörung der Mittelklasse. Ein Song handelte tatsächlich von dem Schuldgefühl darüber, auf der falschen Seite der Rassengrenze zu leben (»Guilty of Being White«), in den übrigen ging es allerdings darum, ein Abweichler zu sein, ein Systemgegner – in einer Welt, in der alle Wertmaßstäbe selbst falsch waren. Nicht nur, dass die guten Jungs nie Weiß trugen (»Good Guys Don’t Wear White«), einfach alles war irgendwie aus dem Tritt geraten (»Out of Step«):
»Don’t – smoke
I don’t – drink
I don’t – fuck
At least I can – fucking think!
I can’t keep up, I can’t keep up, I can’t keep up.
Out of step – with the world!«
Bald verschrieb ich mich mit Herz und Seele Fugazi, der Nachfolgeband von Minor Threat. Die Rhythmen waren interessanter, und die Gesellschaftskritik entsprach noch mehr dem Lebensgefühl in unserem Vorort. Fugazi prangerten voller Wut die verwaltete Welt, Apathie, Passivität und ein Dasein an, das wir in den Wartezimmern der Gesellschaft verbrachten, während uns die Autoritäten Medikamente verabreichten, um uns ruhig zu stellen: »Once upon a time I had a name, I had a face / but to you, I’m nothing but a number.« (Immer wieder erstaunlich, wie sehr Weiße es hassen, auf eine Nummer reduziert zu werden.) »You are not what you own . . . You have – no control!«
Das war der Ethos des Postpunk, wie ich ihn kennen-und schätzen lernte. Selbsthass, gemischt mit der Aufforderung, sich zusammenzureißen und eine alternative Welt aufzubauen, von der aus man gegen das System kämpfen konnte. In gewisser Weise war ich dafür angesichts meiner Position im Klassengefüge prädestiniert. Meine Eltern waren aufgestiegen, sie gehörten nun zur Schicht der Freiberufler und leitenden Angestellten, und ich hatte diese
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