BLUFF!
Fünf Minuten später verließ er als gläubiger Mensch das Gotteshaus. Erst 35 Jahre später hat er ein Buch darüber geschrieben. »Gott existiert, ich bin ihm begegnet« wurde ein Weltbestseller.
Existenzielle Erfahrungen kann man nicht absichtlich produzieren. So etwas ereignet sich. Das ist mit der Liebe so und auch mit der Erfahrung Gottes. Es gibt freilich Atmosphären, die für Liebeserfahrungen besonders günstig zu sein scheinen, und auch Gotteserfahrung ereignet sich wohl eher, wenn man mal aus dem ständigen Getriebe des Lebens aussteigt, wie Hape Kerkeling das gemacht hat. Dann entgeht man wenigstens für eine gewisse Zeit all den bedrängenden gefälschten Welten, in denen zu leben wir gezwungen sind. Das kann aber nicht nur ein Promi, das kann jeder. Es müssen auch nicht gleich sechs Wochen nach Santiago sein, es reicht vielleicht auch mal ein Wochenende im Kloster oder eine Stunde in einer Kirche oder einfach nur ein bewusstes Innehalten für einen kurzen Moment.
Existenzielle Erfahrungen sind keine Erfahrungen bloß für Feiertage. Sie können uns im Alltag zustoßen, plötzlich und unerwartet. Die Wahrheit blitzt auf im Moment, hat Platon in seinem berühmten siebten Brief gesagt. Aber auch die Liebe tut das. Und solche Momente sprengen die Zeit. Dabei geht es nicht darum, dass man im Leben plötzlich so etwas wie einen religiösen Raumspray wahrnimmt, eine merkwürdige Energie. Sinnerfahrungen haben wie die Liebe personalen Charakter, man fühlt sich persönlich gemeint. Und solche existenziellen Erfahrungen können plötzlich befreien aus der gefälschten Welt. Die Frau, die Truman Burbank aus Liebe aus seiner künstlichen Welt befreit, bittet am Ende auch Gott, ihm zu helfen. Und das Schiff, auf dem er sein Welttheater verlassen will, heißt »Santa Maria«, wie das Schiff des Christoph Columbus, der den Mut hatte, auszusteigen aus seiner alten Welt in eine ungeahnte neue Welt.
Vielleicht ist es aber wichtig, sich den Ausstieg nicht zu spektakulär vorzustellen. Man muss nicht gleich alles aufgeben und mit Rucksack und Isomatte durch die Welt ziehen. Hape Kerkeling verzichtet ganz realistisch darauf, sich in einer kargen Pilgerherberge nachts in den Schlaf zu quälen. Er übernachtet lieber in netten kleinen Hotels. Wir alle leben unvermeidlich in dieser gefälschten Welt mit all ihren Vor- und Nachteilen, und das ist auch ganz gut so. Wir bauen ja sogar selbst mit daran. Diese Welt ist bunt und schön und abwechslungsreich, und manchmal ist sie sogar köstlich wie ein guter Wein. Aber man muss aussteigen können. Wer nur noch im Wein Wahrheit sucht, wird sich bald selbst verlieren. Solange man also weiß, dass die Welt gefälscht ist und es gefährlich ist, sich ganz in ihr zu verlieren, hat man noch die nötige Distanz. Aber wenn man die wichtigste Frage in der Psychiatrie, die Frage »Wie geht es hier raus?«, nicht mehr beantworten will oder kann, wenn man nicht mehr die Freiheit hat, in die existenzielle Welt vorzudringen, dann wird man zur Marionette in einem Theater, in dem andere die Regie führen.
Wer will schon, dass bloß das eigene modisch durchgestylte Wohnzimmer das zusammenfassende Denkmal seines Lebens wird nach dem Motto: Das war er. Und wenn sie allzu zudringlich wird, die gefälschte Welt, und weit und breit kein Jakobsweg in Sicht ist, wenn die Verhältnisse es einem unmöglich machen, wegzugehen, dann kann auch so etwas reichen wie eine innere Kündigung, also innerlich einfach mal die Sichtweise zu ändern. Man muss nicht gleich ein Aussteiger sein, um auszusteigen. Frank Schirrmacher hat in seinem »Payback« darauf hingewiesen: »Menschen können ›geweckt‹ werden, sie reagieren, wenn sie mit einer anderen Perspektive konfrontiert werden. Sie sind bereit, ihre eigenen Annahmen in Frage zu stellen und neu zu denken.«
Wie nie zuvor sind Menschen heute daran gewöhnt, die Perspektive zu wechseln. Schon der Flug in ein anderes Land ist so etwas wie ein Ausstieg aus einer Welt und der Einstieg in eine neue. So sollte heutigen Menschen der Ausstieg aus dem falschen Film, in dem sie leben, kein völlig fremdes Unternehmen sein.
Hape Kerkeling schreibt zu Recht: »Fast jedes Leben lässt sich doch am Ende auf ein Dutzend entscheidende Prüfungen reduzieren, die es ausgemacht haben. Jeder Nachruf hätte sonst Millionen von Seiten. Wenige Dinge sind im Leben wirklich wichtig, und wenn man sich eingehend selbst erforscht, stellt man fest, dass man auch nur wenige
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