Bluterde
lachte.
»Schau mich nicht so entsetzt an. Ich werde es euch später im Meeting erklären.«
Dagmar runzelte die Stirn und setzte sich wieder in Bewegung Richtung dritter Stock. Wie so oft bei alten Häusern in Berlin gab es keinen Fahrstuhl. Obwohl es noch früh war, durchzog schon der Duft nach Kaffee den Flur des WPS-Büros. Lea stellte ihre Tasche auf den Schreibtisch. Im Bad wusch sie sich die Hände ausgiebig mit Seife, bevor sie in die Küche ging, um sich eine Tasse Kaffee zu nehmen. Der Kontakt mit S-Bahn-Haltestangen, Treppengeländern und Türgriffen rief massive Ekelgefühle in ihr hervor. Sie umschlang die heiße Tasse mit beiden Händen, wärmte ihre klammen Finger auf und schlenderte in ihr Büro. Jens lachte, wenn sie das tat. Er war überzeugt, dass ein paar Kilo mehr auf den Rippen Abhilfe gegen kalte Hände und Füße schaffen würden.
Jens! Beinahe hätte sie wieder vergessen, dass sie ihn anrufen wollte. Jens, ihre Dauer-Affäre. Guter Sex ohne Verpflichtung. Ganz nach ihrem Geschmack. Sie ging zu ihrem Schreibtisch, riss ein Post-it vom Block, machte sich eine Notiz und klebte sie an ihren Computer. Der Rechner, ein altes Ungetüm, fuhr hoch. Lea loggte sich ein und die Nahaufnahme eines Gorillas, der sich eine Handvoll Blätter ins Maul stopfte, erschien. Ihre Miene hellte sich auf. Obwohl sie den Bildschirmschoner schon seit Monaten auf ihrem Computer hatte, lockte ihr das versonnene Gesicht von Milla immer noch ein Lächeln auf die Lippen. Milla, ihr haariges Patenkind im Kongo und Femis Sorgenkind. Dagmars Kopf erschien in der Tür.
»Lea, wir müssen unser Meeting auf morgen verschieben. Ich bekomme Besuch aus dem Primatenzentrum in Göttingen.«
Lea nickte, die geschenkte Zeit kam ihr sehr gelegen. Seit Tagen manifestierte sich ihr schlechtes Gewissen in Form eines dicken Stapels Unterlagen auf ihrem Schreibtisch – sie hatte genug zu tun. Sie öffnete ihr Notizheft und fügte der Liste für den heutigen Tag noch schnell einen weiteren Punkt hinzu: eMail an Femi bzgl. McAllister …
Omari Malamba kniete sich auf den schlammigen Boden, legte seine Waffe ab und untersuchte vorsichtig die Zweige. Sie waren geknickt und das Gras dazwischen flacher als gewöhnlich. Für ein ungeübtes Auge war der Unterschied kaum zu erkennen, aber Omari Malamba war nicht nur der Chef der WPS-Wildhüter-Truppe, sondern auch ihr bester Fährtenleser. »Sie müssen vor kurzem hier durchgekommen sein.«
Er hob die Hand und gab den Männern mit zwei Fingern das Zeichen zum Weitergehen. Femi Oranghi betrachtete ihn zufrieden. Omari war ein Glücksgriff für das Projekt. Er hatte den bulligen Mann vor drei Jahren von der Parkbehörde übernommen, als wieder einmal kein Geld da war, um die kargen Gehälter der Parkranger zu bezahlen.
Sie arbeiteten sich mit ihren Macheten schweigend durch den Dschungelfilz, als plötzlich ein sonderbarer Geruch in der Luft lag. Der Primatologe und seine vier Wildhüter rochen die Gorillas, bevor sie das erste schwarze Gesicht durch die krautigen Sträucher erkennen konnten. Sie verlangsamten ihre Schritte, um die Tiere nicht zu erschrecken. Ein grüner Vorhang, gewoben aus Lianen und Kletternesseln, verdeckte die Sicht. Femi schob ihn vorsichtig zur Seite und hatte freien Blick auf eine Lichtung, auf der sich vierzehn Grauergorillas dem Fressen und Spielen widmeten.
»Es ist Kiku mit seiner Gruppe«, flüsterte er seinen Männern zu. Sie ahnten alle, dass der mächtige Silberrücken sie längst bemerkt hatte, obwohl er sich völlig unbeteiligt gab. Gemächlich entlaubte er einen Zweig, indem er ihn wie einen Strohhalm durch sein mächtiges Gebiss zog. Während er die Blätter mit kräftigen Kiefern zu Brei zermalmte und nach dem nächsten Imbiss angelte, beobachtete er sie aus seinen dunklen Augen.
Omari fischte ein Klemmbrett aus seiner Tasche und begann mit den üblichen Aufzeichnungen über Gruppengröße, Gesundheitszustand der Tiere und Fressverhalten. Die anderen Männer suchten währenddessen den Boden nach Gorilla-Dung ab, der regelmäßig auf Krankheitserreger untersucht wurde. Femi fluchte leise. Er wollte sich einen besseren Stand verschaffen, um bei den Videoaufnahmen eine ruhige Hand zu haben, aber das borstige Gestrüpp widersetzte sich seinen schweren Stiefeln. Ein dünner Schweißfilm überzog seine Stirn. Er wollte sich mit dem Ärmel seiner Jacke das Gesicht abwischen, hielt aber mitten in der Bewegung inne.
Kiku erhob sich von seinem Fressplatz,
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