Blutige Küsse und schwarze Rosen
feine Risse. Sie wirkte ebenso tot wie der verlassene Friedhof und seine verkümmerten Gräber selbst.
„Hast du es dir anders überlegt?“, hakte sein Gegenüber vorsichtig nach und holte Elias aus seinen Gedanken. „Oder willst du vielleicht doch noch längere Bedenkzeit?“
„Nein, nein.“ Elias strich sich mit der freien Hand den Pony aus der Stirn und atmete tief durch. „Ich bin mir sicher. Jedenfalls, wenn du dir sicher bist, dass du es tun willst?“
Nico lächelte im fahlen Licht der Taschenlampe. „Natürlich. Mir war schon immer klar, dass du, hmm, sagen wir, anders bist. Wird langsam Zeit, dass du es ausleben kannst. Dabei kann und will ich dir helfen.“
Elias stockte der Atem. Nico wusste längst, dass er schwul war? Er hatte es Elias gegenüber nie erwähnt. Wusste er etwa auch, dass er in ihn verliebt war?
Aber obwohl sein Freund nun offensichtlich über all das im Bilde war und darauf wartete, dass Elias etwas sagte, wusste der nicht, wie er es anstellen sollte. Wie sollte er um einen Kuss bitten?
Als er endlich den Mund öffnete, um einen ersten Versuch zu starten, entfloh Elias ein beinahe hysterisches Lachen. Fast wäre er vor Scham in der ausgedorrten Erde versunken, wäre da nicht Nicos gutmütiges Schmunzeln gewesen.
„Ich werde dich nicht für verrückt erklären“, meinte er bestärkend. „Ich habe dich auch damals nicht für verrückt gehalten, als du mit deinem Gerede über Vampire angefangen hast.“
Das Foto!, schoss es Elias durch den Kopf. Die Notiz auf der Rückseite sollte ihm doch Mut spenden! Er war drauf und dran, diese herauszukramen und wie geplant von ihr abzulesen. Aber mit einem Mal schien ihm die bloße Idee daran lächerlich und so rührte er sich nicht.
„Ich werde auch nicht zu fest zubeißen!“, versprach Nico, plötzlich grinsend, und jagte Elias damit eine Hitzewoge in Richtung Magengrube. Tausend Bilder von Nicos mit zärtlichen Bissen gespickten Küssen machten sich vor seinem geistigen Auge breit. Küsse, die seit der gefühlten Ewigkeit hier auf dem Friedhof längst ihm hätten gehören können.
„Wenn du ohnehin weißt, was ich mir wünsche …“ Elias war sich nicht einmal sicher, ob seine gewisperten Worte zu vernehmen waren. Nur reichte ihm für mehr der stockende Atem nicht. „Kannst du es dann nicht einfach machen? Bitte.“
Elias hatte keine Gelegenheit mehr dazu, in Nicos Gesicht nach einer Reaktion auf diese Bitte hin zu suchen. Die einzige Lichtquelle weit und breit war bereits erloschen und er konnte lediglich noch Nicos Umrisse erkennen. Es herrschte Stille und Elias wagte nicht, diese zu stören. Er verharrte lautlos auf seinem Platz und beobachtete die Gestalt vor sich, die ebenfalls keinen Anschein machte, sich zu regen.
Nur ein leises Flügelschlagen, nicht weit von ihnen, war zu hören und Elias fragte sich unwillkürlich, ob es sich dabei um eine Fledermaus handelte, die diesen Moment noch perfekter werden ließ.
Dann räusperte Nico sich und flüsterte: „Ich tu das hier zum ersten Mal. Aber du ja genauso, also … Das beruhigt doch irgendwie, oder?“
Er lachte fast geräuschlos auf und Elias konnte die dahinter verborgene Nervosität ausmachen. Nervosität, die auch ihn selbst erfüllte und ihm einen Schwindelanfall durch den Kopf peitschte, als sich der schwarze Umriss vor ihm schließlich bewegte.
Nico kam näher und trieb damit Elias’ Herz zu Akkordleistungen an; es hämmerte so laut, dass Nico das Schlagen vermutlich hören konnte – so nah, wie sie einander jetzt waren. Ihre Lippen würden sich gleich berühren. Sie würden sich gleich küssen. Elias konnte schon Nicos warmen Atem auf seiner Wange spüren. Er schloss die Augen und genoss das unbeschreiblich schöne Prickeln in seiner Magengrube, als Nico ihm eine Hand in den Nacken legte und ihn zu sich zog. Seine Gegenwart war berauschend. Elias neigte den Kopf zur Seite, bereit Nico zu schmecken. Bereit für den Kuss …
… und zuckte vor Schmerz zusammen, als sich messerscharfe Zähne in seinen Hals bohrten.
Kapitel 3
B ISS
Schwer keuchend riss er sich los. Sein Rücken prallte hart gegen den Grabstein hinter ihm und ein betäubender Schmerz flutete Elias bis in die Zehenspitzen. Sein gesamter Körper war wie paralysiert. Er schnappte nach Luft, seine Lungen aber verweigerten ihm den Dienst. Lediglich sein Herz arbeitete auf Hochtouren. War es eben noch die Aufregung, die es hatte schneller schlagen lassen, peitschte nun eine Mischung aus Panik
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