Blutige Verfuehrung 1
Rest meines Lebens im Gefängnis verbringen? Tausend Fragen ohne Antworten schossen mir durch den Kopf. Ich schloss vorsichtig auf und stahl mich leise in mein Zimmer im Obergeschoss. Großmutter schlief sicher gut und fest wie immer, wenn ich spät nach Hause kam.
Als ich endlich in meinem Bett lag, konnte ich kein Auge zu tun. Mein Herz raste noch immer. Dass ich in betrunkenem Zustand den Verstand verloren hatte, wäre eine zu einfache Erklärung. Die Sache beschäftigte mich so sehr, dass ich wieder aufstand und den Computer anwarf, um über Vampire zu recherchieren. Mir war jetzt klar, dass ich einer von ihnen war, doch ich hatte keine Erklärung dafür, woher dieser schreckliche Blutdurst kam. Aber ich hatte Achim wirklich kein Leid zufügen wollen. Es ist einfach passiert. Ich musste ständig an sein leichenblasses Gesicht denken, das so abwesend auf dem Kissen lag. Ein leichtes Lächeln hatte um seinen Mund gespielt. Ich wagte nicht, noch mal bei ihm anzurufen. Vielleicht würde man mein Handy orten. Ich musste es unbedingt loswerden. Ich hoffte inständig, dass er wieder aufwachen würde.
2. Der Brief
Am nächsten Morgen hatte ich schrecklich dunkle Ringe unter den Augen. Meine Laune war entsprechend schlecht, doch ich musste in die Uni. Ich zog mich an und warf den Kapuzenpullover in den Wäschebeutel. Dann ging ich hinunter zum Frühstück. Großmutter war immer früh auf und kochte Kaffee für mich. Das Butterbrot, das sie mir neben meine Kaffeetasse gelegt hatte, konnte ich nicht essen. Sie sah mich vorwurfsvoll an und sagte:
"Willst du wieder ohne Essen aus dem Haus gehen?" Ich gab ihr keine Antwort, denn die ständige Bevormundung ging mir auf die Nerven. Ich stand auf und ging wortlos aus der Wohnung. Ich fuhr in die Stadt. Ich drückte mich in der Fußgängerzone herum und ging bei Mc Donalds noch einmal frühstücken. Nach der gestrigen Nacht hatte ich keinen Nerv in die Uni zu gehen und vielleicht Ingeborg über den Weg zu laufen. Ich fürchtete noch immer, dass man mir meine Tat ansah.
Dann fuhr ich in den Zoo. Ich wollte keine Menschen sehen. So früh ist im Zoo nicht viel los und die Tiere sind dankbar für jeden Besucher. Ich ging ins Affenhaus und setzte mich den Gorillas gegenüber. Diesen Tieren konnte ich stundenlang zusehen. Dann spazierte ich durch die Grünanlage. Allmählich kamen mehr Leute und Schulklassen. Ich setzte mich wieder auf eine Bank in den Schatten und verdöste so den Nachmittag. Es war bereits halb Fünf, als ich wieder nach Hause ging. Meine Großmutter saß im Wohnzimmer und schaute sich eine dieser Fernsehsoaps an. Ich war schrecklich hungrig und ging an den Kühlschrank. Er war wie immer gut gefüllt. Ich schnappte mir eine Dose Bier und ein Brötchen von der Anrichte. Dabei fiel mein Blick auf einen vergammelten Brief.
"Was ist das für ein Brief, Großmutter?"
"Was meinst Du?"
"Na der Brief auf der Anrichte, der ist ja schon angeschimmelt?"
Meine Großmutter steht umständlich aus ihrem Sessel auf und schlurft zur Anrichte. Sie nimmt den Brief an sich und sieht mich streng an.
"Du bist jetzt 21 Jahre und ich habe den Auftrag, dir dieses Schreiben zu übergeben."
"Der Brief ist für mich? Außerdem bin ich schon seit einer Woche 21, wenn ich das mal bemerken darf."
"Ja, leider."
"Nun gib ihn mir endlich!"
Ich fasse den Brief mit spitzen Fingern an, rieche daran, er riecht modrig, ich schüttle mich und reiße das Kuvert ungeduldig auf. Das Papier ist hauchdünn und krümelig, es zerbröselt mir zwischen den Händen. Ein hellblaues gefaltetes Blatt kommt zum Vorschein. Ich wende es hin und her, bevor ich es vorsichtig auffalte. Zwei Büchlein fallen aus dem Umschlag auf den Boden. Ich hebe sie auf. Es ist ein dunkelrotes Sparbuch mit einem Wappen darauf, das andere Büchlein ist ein nagelneuer Reisepass. Ich blättere darin. Ich kann kaum fassen, was ich da lese. Der Reisepass lautet auf mich und auch das Sparbuch trägt meinen Namen. Meine Großmutter hält sich umständlich an der Anrichte fest, wie wenn sich der Boden unter ihr plötzlich öffnen würde und beobachtet mich mit angehaltenem Atem. Sie kennt anscheinend den Inhalt dieses Briefes und des Sparbuches und sie ahnt, dass ich gleich ausrasten werde. Ihr schuldbewusster Blick macht mich wütend.
"Nein, nein, das glaube ich nicht!" schreie ich und packe meine Oma an den Schultern, ich schüttle sie und ihr Kopf wackelt hin und her wie ein Pendel.
"Warum bekomme ich diesen Brief erst
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