Ein Prinz wie aus dem Maerchen
1.
Kapitel
In
seiner südfranzösischen Villa warf Prinz Tariq Shazad ibn
Zachir, oberster Scheich und Führer des ölreichen
Golfstaats Jurmar, das Handy beiseite und wandte seine Aufmerksamkeit
seinem engsten Vertrauten Latif zu.
Tariq
war die sorgenvolle Miene des älteren Mannes aufgefallen.
"Stimmt etwas nicht?"
"Ich
bedauere, Sie mit dieser Angelegenheit belästigen zu müssen",
Latif legte bekümmert eine Mappe auf den Schreibtisch, "aber
ich finde, Sie sollten davon erfahren."
Verwundert
über das Unbehagen des Mannes, schlug Tariq den Ordner auf. Das
oberste Blatt war ein ausführlicher Bericht von Jumars
Polizeichef. Tariq las den Namen des Ausländers, der wegen
seiner Schulden inhaftiert worden war. Es handelte sich um Adrian
Lawson, Fayes älteren Bruder!
Noch
ein Lawson, der sich des Betrugs schuldig gemacht hatte! Während
er die Schilderung der Ereignisse überflog, die zu Adrians
Verhaftung geführt hatten, spiegelte sich grenzenlose Verachtung
auf seinen markanten Zügen. Wie hatte Fayes Bruder es wagen
können, in Jumar ein Bauunternehmen zu gründen und die
Bürger auszuplündern, die er, Tariq, geschworen hatte zu
beschützen?
Lebhafte
Erinnerungen erwachten, aufwühlende Erinnerungen, die Tariq
zwölf Monate lang verdrängt hatte. Welcher Mann rief sich
schon gern seinen schlimmsten Fehler ins Gedächtnis? Faye mit
ihrer geheuchelten Unschuld, die alles darangesetzt hatte, ihn wie
eine routinierte Goldgräberin einzufangen. Der Köder? Ihr
makelloser Körper und das schöne Gesicht. Die Drohung,
nachdem er angebissen hatte? Skandal! Als oberster Scheich von Jumar
mochte er zwar mit feudaler Macht über seine Untertanen
herrschen, aber selbst im einundzwanzigsten Jahrhundert musste Tariq
ibn Zachir akzeptieren, dass es seine Pflicht war, einen
konservativen Lebensstil zu pflegen. Und vor einem Jahr hatte er kaum
eine andere Wahl gehabt, denn sein Vater Hamza war gestorben.
Tief
durchatmend und blass vor Ärger kehrte Tariq in die Gegenwart
zurück. Anders als die meisten Sprösslinge aus den
Königsfamilien im Mittleren Osten war er nicht im Westen erzogen
worden, sondern ähnlich wie seine Vorfahren aufgewachsen.
Militärschulen, Privatlehrer, Überlebenstraining mit
britischen Spezialtruppen in der Wüste. Mit zweiundzwanzig war
er Pilot und Experte in jeder nur denkbaren Kampfart und hatte seinen
Vater endlich überzeugt, dass ein Abschluss in
Wirtschaftswissenschaften für ihn vermutlich wichtiger sein
könnte als die Fähigkeit, das Volk in den Krieg zu führen
– zumal Jumar seit nunmehr hundert Jahren sowohl innerhalb
seiner Grenzen als auch mit den Nachbarn in Frieden lebte.
Tariq
besaß einen angeborenen Geschäftssinn und hatte die Kassen
des ohnehin märchenhaft reichen Staates so gefüllt, dass er
und sein Volk mehr für wohltätige Zwecke spendeten als
jedes andere Land der Welt. Durch seinen Kontakt mit der
freizügigeren europäischen Kultur hatte Tariq den
Lebensstil westlicher Frauen kennen gelernt. Trotzdem hatte er sich
wie die sprichwörtliche Weihnachtsgans ausnehmen lassen, als er
Faye Lawson begegnet war.
"Was
soll ich in dieser Sache unternehmen?" erkundigte Latif sich.
"Gar
nichts. Soll die Gerichtsbarkeit ihren Lauf nehmen."
Latif
betrachtete angelegentlich seine Füße. "Es scheint
unwahrscheinlich, dass Adrian Lawson das nötige Geld aufbringen
kann, um seine Freilassung zu erwirken."
"Mag
sein."
Nach
langem Schweigen räusperte Latif sich zögernd.
Tariq
warf ihm einen amüsierten Blick zu. "Ja, ich weiß,
was ich tue."
Trotz
seines deutlichen Unbehagens verbeugte sich der ältere Mann und
zog sich zurück. Tariq wusste, warum Latif so besorgt war, und
überdachte noch einmal seine Entscheidung. Sein unbeugsamer
Stolz, sein Zorn über die Falle, in die man ihn gelockt hatte,
hatten sein Urteil beeinflusst. Doch es war Zeit, die Verbindung mit
Faye Lawson zu beenden und sein Leben fortzusetzen.
Es
hätte schon vor einem Jahr geschehen sollen. Die Situation
konnte nicht so bleiben. Insbesondere jetzt, da er für die
Erziehung von drei kleinen Kindern verantwortlich war, die durch
einen tragischen Flugzeugabsturz verwaist waren. Er brauchte eine
Gemahlin, eine warmherzige, mütterliche Frau. Es war seine
Pflicht, eine solche Frau zu heiraten – allerdings konnte man
nicht behaupten, dass er versessen darauf war.
Tariq
schob Adrian Lawsons Akte ungelesen beiseite und lehnte sich
versonnen zurück. Die Lawson-Geschwister und ihr
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