Blutkirsche
Gabelung zur Insel – einem Schrebergartengebiet, das nur über eine schmale Fußgänger-Brücke zu erreichen war – den grauen Opel Insignia des Vereinsvorsitzenden. An der Heckscheibe klebte das Logo des Vereins.
Aha, hat der mal wieder zu viel gesoffen und hier genächtigt. Andere Leute wegen Verstößen gegen die Gartenordnung anmeckern, aber sich selbst nicht daran halten!
Er, Mike, würde sich von dem nicht stören lassen, sondern wie gewohnt meditieren. Größere Sorgen bereiteten ihm das Rattern von Rasenmähern |9| oder Häckslern, denn der ‚Kleine himmlische Kreislauf‘ – eine Qigongübung – erforderte größte Konzentration.
Mike band seinen dunklen Haarzopf fester und zog sich bis auf seine Badehose aus. Auf seinen athletischen bronzefarbenen Körper war er ziemlich stolz, schließlich hatte er dafür eine Menge Geld im Fitnessstudio hingeblättert. Während den weiteren Übungen – dem ‚Kranich‘ und dem ‚Löwen‘ – spürte er, wie das Chi durch seinen Körper floss. Das Plätschern des Bachlaufes, das vom melodischen Klingen eines Windspieles begleitet wurde, tauchte ihn in ein Gefühl von Ruhe ein.
Die kleine Brücke, die über den Wasserlauf führte, hatte er nach einer Anleitung aus einem Buch über Japangärten selbst gebaut. Die Azaleen standen in Hochblüte und eine japanische Hängekirsche vor der Laube wirkte wie ein Mädchen im Brautkleid. Zwischen Findlingen wuchsen Bambusstauden und Gräser. Mike hatte Bonsais, kleine Bäume, Sinnbilder des Lebens, gepflanzt. Die Steine symbolisierten Tiere – wie Hunde, junge Kälber, die mit ihrer Mutter spielten. Jasminblüten verströmten einen betörenden Duft. Geschlungene Kiesflächen, in ein feines Wellenmuster geharkt, das Wasser darstellen sollte, ließen den Garten exotisch, eben fernöstlich aussehen. Eine immergrüne Kiefer neben dem Miniaturpflaumenbaum symbolisierte den Dualismus von Augenblick und Ewigkeit. Die Komposition war fast vollkommen, genau so, wie Mike es sich erträumt hatte, nachdem er das erste Mal im Land der untergehenden Sonne ein Original bewunderte.
Die Findlinge hatten den ersten Streit mit dem Vereinsvorsitzenden Harry Kohl ausgelöst. Aber auch die anderen Kleingärtner bruddelten Mike an: „Mer hend z‘doa, dass mer de kloine Schtoi ausm Aggr glaubet, und der lesst so Riesedenger neischaffe.“ Das Gebiet war ehemals ein Steinbruch und Mike konnte es gut verstehen, dass es Mühe gekostet hatte, die Erde fruchtbar werden zu lassen.
Mike grinste nun. Er dachte an die verdutzten Gesichter, als er sein Gartenhaus, eine Sonderanfertigung in Form eines japanischen Pavillons, vor zwei Monaten aufstellen ließ. Harry Kohl hatte getobt und den sofortigen Abriss verlangt.
Aber dieser Wichtigtuer musste nachgeben, dachte Mike befriedigt. Er hatte dafür gesorgt, weil er ihn in der Hand hatte. Doch Kohl rächte sich. Ärgerlich war nur, dass es ihm bisher noch nicht gelungen war, ihn zu erwischen.
Auch heute lagen ein brauner Kothaufen und mehrere Küchenpapiere mitten auf der Kiesfläche hinter dem japanischen Gartenhaus. Ab |10| und zu fand Mike die Hinterlassenschaft von Tieren – wie von Füchsen oder Igeln – manchmal auch die von einem herrenlosen Hund, aber Tiere benutzen bekanntlich kein Toilettenpapier. Dies konnte eindeutig nur ein Mensch gewesen sein. „Genug ist genug“, knirschte Mike durch die Zähne. „So ein verdammtes Schwein! Dieser unverschämte Kohlkopf! Der hat mich zum letzten Mal angeschissen! Granatenmäßige Sauerei!“ Nun würde er die gestern noch sorgfältig in Bahnen gezogenen Kiesflächen erneuern müssen.
Mike zog Gummihandschuhe an und hob mit einer Schaufel den stinkenden Haufen zusammen mit dem verschmutzten Papier auf und legte ihn in ein ausgehobenes Pflanzloch nahe der Gartengrenze zu Nummer 12 und 14. Dort war es schattig, das Moos in der kleinen Rasenfläche ließ außerdem auf genügend Wasser schließen. Er warf Erde in das Loch und setzte einen Rhododendron ein. Der Strauch – der letzte – würde die Vollendung seiner Planung sein und durch die natürliche Düngung gut gedeihen. Ein Rotkehlchen flatterte zutraulich in seine Nähe und suchte die frisch umgesetzte Erde nach Regenwürmern ab.
Mit einer Gießkanne schöpfte Mike Wasser aus der Regentonne, goss den Rhododendron an und wusch danach die Schaufel ab. Hinter dem Bambus, in der Knöterichhecke, lag noch immer eine beschmutzte Hacke. Mit einer alten Wurzelbürste säuberte er sie, sprühte sie
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