Blutkrieg
verbergen, die
Tage zuvor zu ihrem Tod geführt hatten – und die von seiner
und Abu Duns Hand stammten. Sie hatten diese Männer getötet,
gnadenlos und präzise, und vollkommen zu Unrecht, und sie
würden für ihren Frevel bezahlen müssen.
Dieser Gedanke ließ ihn nicht mehr los, würde ihn nie mehr
loslassen, und das laute und rastlose Krächzen des einsamen
Raben auf dem Mast über ihnen erleichterte ihm diese Bürde
nicht. Andrej kam sich immer unwirklicher vor, und für einen
kurzen Augenblick fragte er sich allen Ernstes, ob er all das hier
tatsächlich erlebte oder sich vielleicht nur in einer auf besonders
perfide Art realistischen Fortsetzung seines Albtraums der
vergangenen Nacht befand. Der Rabe über ihnen stimmte ein
raues Gelächter an, als hätte er seine Gedanken gelesen.
Andrej stand auf und wandte sich zu Abu Dun um. »Und?«
Der Nubier blinzelte verwirrt. »Und – was?«, fragte er.
Andrej machte eine unwillige Handbewegung. »Was hast du
mit dem Tuch gemacht?«
»Ich habe versucht, ein Segel zu improvisieren«, antwortete
Abu Dun nun sichtlich verärgert.
»Mit Erfolg?«, fragte Andrej, und Abu Duns Miene
verdüsterte sich noch weiter.
»Mit mäßigem«, knurrte er. »Für Zaubertricks bist du doch
zuständig, Hexenmeister.« Er machte eine wütende Geste zu
dem hellen Schimmer am Horizont hin, als Andrej antworten
wollte, und fuhr in gereiztem Ton fort: »Nur, falls es dir nicht
aufgefallen ist: Es ist ziemlich weit bis zur nächsten Küste, und
wir machen keine Fahrt. Und ohne Segel wird das auch so
bleiben.«
Ihr habt euer Wort gebrochen. Ihr werdet sterben.
Andrej hörte nicht auf die Stimme; er wusste, sie war nicht
real. Irgendein verborgener Teil seiner selbst legte es darauf an,
ihn in den Wahnsinn zu treiben, doch so schnell würde er nicht
aufgeben.
»Zeig mir, wie weit du gekommen bist«, verlangte er.
Abu Dun wirkte überrascht, als hätte er mit einer gänzlich
anderen Antwort gerechnet, drehte sich dann aber mit einem
angedeuteten Achselzucken um und führte Andrej unter dem
misstönenden Krächzen des einsamen Raben – wenn es denn ein
solcher war – über das rutschige Deck zurück zum
Achteraufbau. Andrej leistete innerlich Abbitte, als er die mit
groben Stichen und unordentlich, aber äußerst haltbar
zusammengenähten Fetzen aus Segeltuch sah. Abu Dun würde
sicherlich niemals eine Auszeichnung für seine Schneiderkunst
bekommen oder an einen Königshof eingeladen werden, um die
edlen Damen mit seinen Kreationen zu erfreuen, doch das, was
er da zusammengebastelt hatte, sah zumindest haltbar aus, und
das war es wohl, worauf es im Moment ankam. Dennoch sagte
er nach einigen Augenblicken: »Sie sind zu klein.«
»Ein einfaches: Vielen Dank, dass du die ganze Nacht
durchgearbeitet hast, während ich meinen Schönheitsschlaf
gehalten habe, hätte auch gereicht«, erwiderte Abu Dun
verärgert. Zu Recht, wie Andrej sich eingestehen musste. Auch
der Rabe schnarrte zustimmend.
»Dann werden wir die anderen auch noch holen müssen«,
sagte Andrej widerstrebend. Allein die Vorstellung, unter Deck
zu gehen und auch die guten zwei Dutzend weiterer Toter, aus
denen die morbide Fracht der Schwarzen Gischt bestand, ihrer
improvisierten Leichensäcke zu berauben, ließ ihn erschauern.
Aber Abu Dun hatte Recht. Nach dem kräftigen Sturm, der das
Schiff zwei Tage lang gebeutelt hatte, befanden sie sich nun
inmitten einer ebenso kräftigen Flaute. Und irgendetwas sagte
ihm, dass sich daran so schnell auch nichts ändern würde.
Vielleicht würde ihnen nicht einmal ein Segel etwas nutzen,
wenn es keinen Wind gab, doch die einzige Alternative wäre
gewesen, die Hände in den Schoß zu legen und sich der Willkür
des Schicksals, der Götter oder auch einfach nur dem Zufall zu
überlassen – und das war etwas, was sie beide noch niemals
getan hatten.
Die Entscheidung wurde ihnen jedoch abgenommen. Abu Dun
sog plötzlich scharf die Luft zwischen den Zähnen ein und
starrte aus aufgerissenen Augen auf einen Punkt irgendwo hinter
Andrej. Seine rechte Hand landete mit einem Klatschen auf dem
Schwertgriff.
Auch Andrej wirbelte herum und konnte das Erschrecken des
Nubiers sofort verstehen. Der zweite Rabe war
zurückgekommen, doch er hatte sich nicht zu seinem Bruder
oben auf dem Mast gesellt, sondern hockte auf einem der Toten
unter der Treppe und starrte Abu Dun und ihn aus seinen
unheimlichen nachtfarbenen Augen an. Als hätte er nur darauf
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