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Blutkrieg

Blutkrieg

Titel: Blutkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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tatsächlich näher am Tod vorbeigeschlittert, als er
zugeben wollte. Mit einem hastigen Schritt, von dem er hoffte,
dass Abu Dun ihn nicht bemerkte, fand er sein Gleichgewicht
wieder und deutete vorsichtig nach oben.
»Ist der Sturm vorbei?«
Er wunderte sich, dass Abu Dun nicht sofort auf diese einfache
Frage antwortete, sondern plötzlich sehr unbehaglich aussah.
»Schau es dir selbst an«, sagte er schließlich.
Die zurückhaltende Antwort verwirrte Andrej, aber er zuckte
mit den Schultern und trat gehorsam hinter den Nubier, der die
schmale Treppe hinaufstieg. Er drückte die Klappe über sich
kurzerhand mit Nacken und Schultern auf, ohne die Hände zu
Hilfe zu nehmen. Sonderbar dumpfgraues Tageslicht hüllte
seine Gestalt in einen Mantel aus Dunst, der seine Umrisse
bereits wieder aufzulösen begann, und Andrej verspürte ein
eisiges Frösteln, als er ihm folgte. Er vermutete, dass es die
Kälte war, die längst bis in den letzten Winkel nicht nur des
Schiffes, sondern auch seines Körpers gekrochen war.
Doch er hatte Unrecht.
Das Licht war falsch, ebenso wie der Himmel und das Meer.
Alles wirkte auf sonderbare Weise flach, wie ein Trugbild der
Wirklichkeit, das seine Betrachter zwar narren, aber nicht zu
überzeugen vermochte. Das Licht, das sie umgab, war … staubig und das Meer so vollkommen still, als wäre es mitten in
der Bewegung zu grauem Eis erstarrt.
»Was … ist das?«, flüsterte er.
Abu Dun hob nur die Schultern. »Vielleicht eine …« Er suchte
einen Moment nach Worten und fand sie offensichtlich nicht,
denn schließlich hob er nur noch einmal hilflos die Schultern.
»Vielleicht stimmt irgendetwas mit dem … Wetter nicht.«
»Hast du jemals ein solches Wetter erlebt?«, fragte Andrej
zweifelnd.
»Ich habe auch noch niemals ein solches Meer erlebt«, gab
Abu Dun zurück. »Habe ich schon erwähnt, dass wir niemals in
diesen verfluchten Teil der Welt hätten kommen sollen?«
Andrej beschloss, die letzte Bemerkung des Nubiers zu
ignorieren. Stattdessen zog er seinen noch immer nassen Mantel
enger um die Schultern und sah sich schaudernd auf dem Deck
der Schwarzen Gischt um. Der Anblick, der sich ihm bot,
unterschied sich nicht sonderlich von seiner letzten Erinnerung
an das Schiff. Es blieb dabei: Die schwere Kogge war ein
Wrack. Warum sie sich noch über Wasser halten konnte, war ein
Rätsel.
Ein Schemen vor dem staubig grauen Horizont zog seinen
Blick an; kaum mehr als ein heller Fleck, der eine Wolke hätte
sein können, die vom Himmel gefallen war und nun auf den
Wellen schwamm, wären seine Umrisse nicht zu hart und zu
kantig gewesen.
»Ist das Land?«, fragte er.
»Wenn, dann ist das das seltsamste Land, das ich je gesehen
habe«, antwortete Abu Dun. »Aber das ist ja auch das seltsamste
Meer, das ich jemals gesehen habe.«
Einem vagen Gefühl folgend, drehte sich Andrej herum und
sah zum Mast hinauf. Statt der erwarteten zwei, sah er nur einen
Raben dort oben und er spürte, wie schon wieder ein eisiges
Frösteln mit kalten Insektenbeinen seinen Rücken hinunterlief.
Der Anblick des Vogels berührte etwas in seinem Inneren; eine
Vorahnung, der er Beachtung schenken musste, auch wenn sie
noch so flüchtig war. Er musste wachsam bleiben.
Dann sah er doch etwas, was ihn erschrocken
zusammenzucken ließ. Unter der zertrümmerten Treppe, die zu
dem nicht minder zerstörten Vorderkastell der Kogge
hinaufführte, lagen vier aufgedunsene, reglose Körper.
»Ich habe das Segeltuch gebraucht«, sagte Abu Dun, dem sein
erschrockenes Zusammenfahren keineswegs entgangen war, in
entschuldigendem Tonfall.
Andrej warf ihm nur einen raschen Blick zu und setzte sich
bereits in Bewegung, noch während er fragte: »Wozu?«
»Weil das hier ein Segelschiff ist«, antwortete Abu Dun
gereizt. Der Rabe oben auf dem Mast krächzte missbilligend.
»Und wir kein Segel mehr haben.«
Andrej runzelte zur Antwort die Stirn. Möglich, dass Abu
Duns Worte logisch waren, doch er hatte mit jedem Moment
mehr das Gefühl, in einem Winkel der Wirklichkeit gestrandet
zu sein, in dem Logik keinerlei Bedeutung mehr hatte. Rasch
ließ er sich neben den Toten auf ein Knie herabsinken und
begutachtete sie aufmerksam, wenn auch mit einer gewissen
Scheu, konnte jedoch nichts Beunruhigenderes feststellen als
das, was er erwartet hatte. Die Männer waren tot. Ihre Leiber
waren vom Wasser aufgedunsen, und die einsetzende Fäulnis
vermochte nicht die schrecklichen Wunden zu

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