Nebenwirkungen
So war Nadelmann
Nun ist es schon vier Wochen her, und noch immer kann ich es kaum fassen, daß Sandor Nadelmann tot ist. Ich war bei seiner Einäscherung und brachte auf Bitten seines Sohnes die Zuckerwatte mit, aber wenige von uns waren imstande, an anderes als unseren Schmerz zu denken.
Nadelmann hatte sich beständig damit herumgeplagt, wie er beigesetzt werden wolle, und hatte einmal zu mir gesagt: "Ich ziehe die Feuerbestattung der Erdbestattung entschieden vor, und beides einem Wochenende mit Frau Nadelmann." Zu guter Letzt beschloß er, sich verbrennen zu lassen und seine Asche der Universität Heidelberg zu stiften, die sie in alle vier Winde verstreute und die Urne in Zahlung gab.
Ich sehe ihn noch vor mir in seinem zerknitterten Anzug und dem grauen Pullover. Von schwerwiegenden Problemen in Anspruch genommen, vergaß er häufig, den Kleiderbügel aus dem Jackett zu nehmen, das er gerade trug. Ich machte ihn einmal während einer Promotionsfeier in Princeton darauf aufmerksam, aber er lächelte sanft und sagte: "Sehr gut, sollen doch die, die mit meinen Theorien nicht einverstanden sind, wenigstens denken, ich hätte breite Schultern." Zwei Tage später brachte man ihn ins Bellevue, weil er mitten in einem Gespräch mit Strawinsky einen Salto rückwärts gemacht hatte.
Nadelmann war kein Mensch, der leicht zu begreifen war. Seine Zurückhaltung hielt man fälschlich für Kälte, aber er war zu tiefem Mitgefühl imstande, und. nachdem er einmal Zeuge eines besonders gräßlichen Grubenunglücks gewesen war, bekam er den Rest seiner zweiten Portion Waffeln einfach nicht mehr runter. Auch sein Schweigen machte die Leute kopfscheu, aber er hatte das Gefühl, Sprechen sei die verkehrte Art, mit Menschen umzugehen, und selbst seine vertraulichsten Gespräche führte er mit Hilfe von Signalflaggen.
Als er aus seiner Fakultät an der Columbia University wegen einer Meinungsverschiedenheit mit dem damaligen Dekan, Dwight Eisenhower, hinausgeworfen wurde, lauerte er dem berühmten Ex-General mit einem Teppichklopfer auf und drosch auf ihn ein, bis Eisenhower in einem Spielzeugladen Deckung suchte. (Die beiden hatten eine erbitterte öffentliche Auseinandersetzung darüber, ob die Schulglocke das Zeichen zum Ende einer Stunde oder zum Beginn der nächsten gab.)
Nadelmann hatte immer gehofft, eines friedlichen Todes zu sterben. "Inmitten meiner Bücher und Papiere, wie mein Bruder Johann." (Nadelmanns Bruder war in einem Rollschrank erstickt, als er nach seinem Reimlexikon suchte.)
Wer hätte aber gedacht, daß Nadelmann, als er in seiner Mittagspause bei einem Hausabriß zusah, von einer Rammkugel der Kopf eingeschlagen würde? Der Schlag bewirkte einen schweren Schock, und Nadelmann verschied mit einem strahlenden Lächeln. Seine letzten rätselhaften Worte waren: "Nichts zu danken, ich habe schon einen Pinguin."
Wie stets, so war Nadelmann auch zur Zeit seines Todes mit verschiedenen Dingen beschäftigt. Er arbeitete gerade an einer Ethik, die auf seiner Theorie beruhte, daß "gutes und richtiges Benehmen nicht nur moralischer ist, sondern auch per Telefon erledigt werden" könne. Er war auch mit einer neuen Untersuchung zur Semantik halb fertig, in der er bewies (worauf er so leidenschaftlich beharrte), daß der Satzbau angeboren, das Wimmern aber erlernt sei. Schließlich noch ein Buch über den Holocaust. Dieses aber mit Ausschneidefiguren. Nadelmann hatte das Problem des Bösen stets gequält, und er argumentierte recht geschickt, das wahre Böse sei nur möglich, wenn der Täter Blackie oder Pete heiße. Sein Flirt mit dem Nationalsozialismus erregte in akademischen Kreisen Anstoß, obwohl Nadelmann trotz aller Anstrengungen von Gymnastik bis hin zu Tanzstunden den Stechschritt nicht hinbekam.
Der Nazismus war für ihn lediglich eine Reaktion auf die schulmäßige Philosophie, eine Meinung, die er Freunden ständig aufzudrängen suchte, woraufhin er mit gespielter Gereiztheit nach ihren Gesichtern zu grapschen und zu sagen pflegte: "Ätsch! Da hab ich deine Nase!" Es ist einfach, an seiner Einstellung zu Hitler erst einmal Kritik zu üben, aber man muß dabei doch seine philosophischen Schriften berücksichtigen. Er lehnte die zeitgenössische Ontologie ab und betonte, der Mensch habe schon vor der Unendlichkeit existiert, allerdings ohne allzu viele Möglichkeiten, gute Geschäfte zu machen. Er unterschied zwischen der Existenz an sich und der Existenz als solcher und wußte, eine sei besser,
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