Blutlinien - Koeln Krimi
leitete diese Ermittlungen, und Lou war froh, dass ihr diese Aufgabe diesmal nicht zufiel. Sie fühlte sich wohl, wenn sie vor Ort tief im Fall steckte, sich nicht mit der Koordination beschäftigen und von einer Besprechung zur nächsten hetzen musste. Ben hatte wahrscheinlich bis tief in die Nacht am Schreibtisch gesessen und war erst im Morgengrauen zu seiner Familie nach Rösrath gefahren.
Sie öffnete das Fenster und inhalierte die frische Morgenluft. Sie liebte die erste Stunde des Tages, wenn Sonnenstrahlen das Inventar streiften, als wollten sie alles behutsam wecken. In diesen Minuten schwebte eine besondere Magie durchs Haus, und am liebsten hätte sie diese Augenblicke festgehalten.
Sie machte fünf flüchtige Kniebeugen, sprang unter die Dusche und betrat dreißig Minuten später die Backstube ihrer besten Freundin auf der Neusser Straße. Hanna bewachte eine Maschine, die gerade große Mengen Sauerteig knetete, und wischte sich mit dem Handrücken Mehl von den Wangen.
»Wo ist denn der Neue?«, fragte Lou nach zwei Wangenküssen und setzte sich mit einer Tasse Kaffee an den Küchentisch, der schon hier gestanden hatte, als Hannas Eltern noch das Geschäft führten.
»So neu ist der Neue nicht, Michel arbeitet schon über zwei Monate bei mir«, sagte Hanna. »Aber wenn du schon fragst, er hat einen Tag Urlaub.«
»Schon wieder?«
»Ja, schon wieder.« Hanna steckte eine widerspenstige Haarsträhne unter ihr Kopftuch. »Du magst ihn einfach nicht, oder?«
»Ich bin mir noch nicht sicher.«
»Er macht seine Sache wirklich sehr gut. Ich denke, ich kann ihm das Geschäft bald überlassen. Er ist nett, sensibel, gut aussehend …«
Lou stellte die Tasse etwas heftig ab. »Das sind ja wohl keine Kriterien für eine Geschäftsbeziehung! Jetzt sag nicht, dass du auf ihn stehst.«
»Er nimmt mir schon jetzt eine Menge Arbeit ab und will die Bäckerei tatsächlich übernehmen!«
Lou schnitt eine Grimasse. Der Gedanke, dass Hanna ihr Geschäft aufgeben wollte, gefiel ihr ganz und gar nicht. Vielleicht wurde sie deshalb mit Michel nicht richtig warm. Die Bäckerei Morgenroth gehörte seit Ewigkeiten zu Lous Leben. Sie verstand ja, dass Hanna sich nach normalen Arbeitszeiten sehnte und endlich wieder in vollen Zügen am sozialen Leben teilnehmen wollte. Deshalb hatte sie sich bei verschiedenen Kölner Museen als freie Mitarbeiterin beworben. Aber wenn Hanna wirklich das Handtuch warf, dann war es nicht nur vorbei mit den gemütlichen Morgenstunden, sondern es bedeutete auch das Ende einer Ära.
»Meine Tochter findet es übrigens ätzend, dass du Maline wegen Michel aus ihrem Apartment rausgeworfen hast«, sagte Lou.
Hannas Augen blitzten angriffslustig. »Wie bitte? Ich habe Maline nicht vor die Tür gesetzt!«
»Das sieht Frieda anders.«
»Maline hat freiwillig ihre Koffer gepackt, als ich ihr erzählt habe, dass Michel eine Wohnung braucht. Ich glaube, sie war heilfroh, dass ich ihr einen Anlass zum Auszug gegeben habe.«
»Das glaube ich kaum. Maline hat gern über der Bäckerei gewohnt.«
»Das habe ich ja auch immer gedacht, aber verhalten hat sie sich anders.«
»Ich sage dir nur, was Frieda sagt.«
Hanna seufzte. »Wie macht sich Mister Post-it?«
Lou nahm sich ein warmes Butterhörnchen und biss hinein. »Bitte nicht dieses Thema.«
»Und deine Brückenlaufbekanntschaft? Du erwähnst ihn so sparsam.«
»Clemens bringt mich zum Lachen.«
»Und mich zum Weinen.« Hanna sprach nun lauter, weil die Maschine einen ziemlich Lärm veranstaltete. »Der Kerl lädt dich zum Frühstück ins Rösrather Möbelzentrum ein, sorry, der Laden heißt ja jetzt Höffner, weil er Coupons für Gratissekt, eine Tasse Kaffee und zwei belegte Brötchenhälften hat. Der ist doch nicht ganz dicht!«
»Das war ein Scherz, Hanna! Clemens wollte witzig sein, und ich fand die Aktion lustig. Andauernd ziehst du über ihn her. Kein Wunder, dass ich so wenig erzähle.«
Hanna schaltete die Maschine ab und sah Lou durchdringend an. »Aber mal ehrlich, dieser Clemens ist doch nicht deine Liga.«
»Clemens ist vielleicht ein Kompromiss, aber er ist unkompliziert.«
Hanna lachte. »Mensch, Süße, du weißt, dass ich dich wieder glücklich sehen will. Nur Clemens ist einfach Zeitverschwendung, das kann ich jetzt schon sehen, weil ich emotional unbeteiligt bin. Aber triff dich mit ihm, hab deinen Spaß, und dann ist die Sache schnell wieder vorbei.«
Die Worte ihrer besten Freundin verfehlten ihre Wirkung
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