Blutmusik
die
ordnungsgemäß beseitigt werden sollten.
Radioisotope.«
»Ach du liebe Zeit«, sagte Hazel. »Wo?«
»Im Kühlschrank. Keine Sorge – bloß
Karbon-14. Darf ich?« Er schaute zu Rothwild. Er bedeutete ihm,
die Schachtel auf den Tisch zu legen, daß er sie untersuchen
könne. »Darf ich?« wiederholte Vergil. »Ich
möchte nichts dalassen, was schädlich sein
könnte.«
Rothwild nickte widerwillig. Vergil ging zum Kühlschrank und
warf seinen Laborkittel auf den Arbeitstisch. Dann ließ er die
Hand über eine offene Schachtel mit Injektionsspritzen streifen
und nahm unauffällig eine heraus.
Das Kissen mit den Lymphozyten in ihren Reagenzgläsern war im
untersten Regal. Vergil kniete nieder und zog ein Glas heraus. Rasch
stieß er die Spritze durch den Wattestöpsel und zog
zwanzig Kubikzentimeter vom Serum auf. Die Spritze war nie zuvor
benutzt worden, also schien die Annahme gerechtfertigt, daß die
Kanüle einigermaßen steril sein würde; er hatte keine
Zeit, sie mit Alkohol zu sterilisieren, mußte das Risiko auf
sich nehmen.
Bevor er sich die Nadel in die Armvene stieß, überlegte
er flüchtig, was er zu tun im Begriff sei, und was er damit zu
gewinnen hoffte. Die Aussichten, daß die Lymphozyten
überleben würden, waren sehr gering. Es war möglich,
daß seine Veränderungen sie hinreichend umgewandelt hatten
und sie in seinem Blut entweder absterben würden, unfähig,
sich anzupassen, oder als Fremdkörper von seinem eigenen
Immunsystem zerstört würden.
So oder so betrug die Lebensspanne einer aktiven Lymphozyte im
menschlichen Körper bestenfalls einige Wochen. Das Leben war
hart für die Polizisten des Körpers.
Die Nadel drang ein. Er fühlte den Stich, ein kurzes Brennen,
dann das Einströmen der kalten Flüssigkeit, die sich mit
seinem Blut vermischte. Als die Spritze leer war, zog er sie heraus
und legte sie unten in den Kühlschrank. Das Kissen mit
Reagenzgläsern und die Spinnerflasche in der Hand, stand er auf
und schloß die Tür. Rothwild beobachtete ihn in
nervöser Ungeduld, als Vergil Gummihandschuhe überzog und
den Inhalt der Gläser in ein zur Hälfte mit Äthanol
gefülltes Becherglas goß. Dann fügte er die
Flüssigkeit aus der Flasche hinzu, verschloß das
Becherglas und schüttelte es lächelnd, um den Inhalt zu
vermischen. Schließlich legte er es in einen geschützten
Abfallkasten. Diesen schob er mit dem Fuß zu Rothwild. »Da
haben Sie«, sagte er.
Rothwild hatte die Aufzeichnungen durchgeblättert. »Ich
bin fast der Meinung, daß diese Hefte in unserem Besitz bleiben
sollten«, sagte er. »Für die Arbeit daran haben Sie
viel von unserer Zeit aufgewendet.«
Vergils einfältiges Lächeln veränderte sich nicht.
»Dann werde ich Genetron auf Herausgabe verklagen und in jeder
Zeitschrift, die ich kenne, Schmutz ausbreiten. Nicht gut für
Ihre Marktposition, nicht wahr?«
Rothwild musterte ihn unter halbgeschlossenen Lidern, während
sein Hals und seine Wangen sich rosa verfärbten. »Machen
Sie, daß Sie fortkommen!« sagte er. »Wir werden Ihnen
den Rest Ihrer Sachen später nachsenden.«
Vergil nahm die Schachtel an sich. Das kalte Gefühl in seinem
Unterarm war jetzt vergangen. Rothwild eskortierte ihn die Treppe
hinab und den Fußweg entlang zum Tor. Walter ließ sich
die Plakette aushändigen, mit unbewegter Miene, und Rothwild
folgte Vergil zum Parkplatz.
»Denken Sie an die Bedingungen Ihres Vertrages«, sagte
Rothwild. »Vergessen Sie nicht, was Sie sagen und was Sie nicht
sagen können.«
»Eins kann ich sicherlich sagen, glaube ich«, sagte
Vergil, bemüht, die Worte klar auszusprechen, obwohl der Zorn
ihm die Kehle zuschnürte.
»Und was ist das?«
»Leckt mich am Arsch! Alle miteinander!«
Vergil fuhr am Genetron-Firmenschild vorbei und dachte an alles,
was hinter jenen nüchternen Wänden geschehen war. Er
blickte zu dem schwarzen Würfelgebäude jenseits, kaum
sichtbar hinter einer Pflanzung von Eukalyptusbäumen.
Fast alles sprach dafür, daß das Experiment beendet
war. Innere Anspannung, Zorn und Enttäuschung verursachten ihm
Übelkeit. Und dann dachte er an die Milliarden von Lymphozyten,
die er soeben zerstört hatte, und seine Übelkeit
verstärkte sich so, daß er schlucken mußte, um den
sauer aufsteigenden Geschmack in seiner Kehle
zurückzudrängen.
»Leckt mich am Arsch!« murmelte er, »denn alles,
was ich anfasse, ist beschissen.«
4
Die Menschen, dachte Vergil bei sich, als er auf einem Barhocker
saß und das Geschiebe
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