Blutmusik
Vergil.
Sobald er Gewißheit hatte, daß ihre Wachsamkeit
nachließ, wurde er aktiv. Er beantragte Zugang zum Computer (er
hatte unbefristetes Nutzungsverbot und durfte nur nach vorheriger
Genehmigung daran arbeiten); den Tatsachen entsprechend sagte er,
daß er seine Zahlen über Strukturen aus denaturierten
Proteinen überprüfen müsse, und die Genehmigung wurde
erteilt. Eines Abends nach acht setzte er sich an den
Datenanschluß im Gemeinschaftslabor.
Er war etwas zu früh aufgewachsen, um schon in seiner Jugend
Erfahrungen als Hacker zu sammeln, aber im Laufe der letzten sieben
Jahre hatte er seine gespeicherten Personalakten bei drei
größeren Firmen geschönt und Eintragungen in die
Immatrikulationsregister einer berühmten Universität
gemacht. Diese Eintragungen hatten den Ausschlag gegeben, daß
er bei Genetron eingestellt worden war. Die Manipulationen waren ihm
nie Anlaß zu Schuldgefühlen gewesen.
Sein Ruf als Wissenschaftler sollte besser sein als seine
Examensnoten und Arbeitszeugnisse. Es hatte keinen Sinn, ein Leben
lang für Jugendtorheiten und vergangene Indiskretionen zu
büßen, und er wußte, daß er für die
Arbeit bei Genetron vollauf qualifiziert war – sein
gefälschter Universitätsabschluß und seine
geschönten Arbeitszeugnisse waren bloß eine Show für
Personalchefs, die Lichter und Musik brauchten. Außerdem hatte
Vergil bis vor ein paar Wochen geglaubt, daß die Welt sein
persönliches Puzzle sei, und daß alle
Rätsellösungen und Entwirrungen, die er bewerkstelligen
konnte, einschließlich seiner Fertigkeiten als Hacker im
Irrgarten der Computertechnik einfach Teil seiner Natur seien.
Er fand es lächerlich einfach, den Renaldicode zu knacken,
der Genetrons vertrauliche Akten sicherte. Für ihn bargen die
Gödelzahlen und Reihen scheinbar willkürlicher
Ziffernkombinationen, die auf dem Bildschirm erschienen, keine
Geheimnisse. Er schlüpfte in die Zahlen und Informationen wie
ein Seehund ins Wasser.
Er fand seine Personalakte und schaltete eine
Schlüsselgleichung für den Code dieses Abschnitts. Dann
beschloß er sicherzugehen – es bestand immer die
Möglichkeit, so gering sie auch war, daß jemand genauso
neugierig und einfallsreich war wie er. Er löschte die Akte
vollständig.
Nächster Punkt auf der Tagesordnung waren die Beiträge
für die Betriebskrankenkasse. Er änderte seine
Versicherungsbedingungen und machte die Änderung unkenntlich.
Nachforschungen von außen würden ergeben, daß er
selbst nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses voll
weiterversichert war, und daß er keine Beiträge zahlte,
würde niemals Gegenstand von Fragen sein.
Er sorgte sich um solche Dinge, denn sein Gesundheitszustand war
nie ganz zufriedenstellend.
Eine Weile beschäftigte ihn die Überlegung, welche
anderen Streiche er der Firma spielen könnte, doch entschied er
sich dagegen. Er war nicht rachsüchtig. So schaltete er den
Datenanschluß ab und zog den Stecker.
Überraschend wenig Zeit – zwei Tage – verging, bis
die Löschung bemerkt wurde. Als er eines Morgens zur Arbeit kam,
fing Rothwild ihn schon im Foyer ab und erteilte ihm Hausverbot.
Vergil protestierte halbherzig und sagte, er habe eine Schachtel mit
persönlichen Habseligkeiten, die er mitnehmen wolle.
»Meinetwegen, aber das ist alles. Keine Arbeitsmaterialien.
Ich werde alles kontrollieren.«
Vergil erhob keine Einwände. »Was ist jetzt los?«
fragte er.
»Offen gesagt, ich weiß es nicht«, erwiderte
Rothwild. »Und ich will es auch nicht wissen. Ich habe mich
für Sie eingesetzt. Ebenso wie Thornton. Sie sind eine
große Enttäuschung für uns alle.«
Vergil überlegte fieberhaft. Er hatte die Lymphozyten nicht
entfernt, da er sie unter dem tarnenden Etikett im
Laborkühlschrank hinreichend sicher gewähnt hatte.
Daß man ihn so schnell vor die Tür setzen würde,
hatte er nicht erwartet. »Ich bin draußen?«
»Sie sind draußen, und ich fürchte, Sie werden es
schwierig finden, in einem anderen Laboratorium der Privatindustrie
Beschäftigung zu finden. Harrison ist wütend.«
Hazel Overton war bereits an der Arbeit, als sie das Labor
betraten. Vergil nahm die Schachtel an sich, die er in der neutralen
Zone bei der Spüle deponiert hatte, und verdeckte das Etikett
mit der Hand. Während er sie hielt, zog er unauffällig das
Klebeband ab, knüllte es zusammen und ließ es in den
Abfalleimer fallen. »Noch etwas«, sagte er. »Ich habe
ein paar mit markierten Verbindungen versetzte Laborversager,
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