Blutrot
auf«, sagte er. »Klingt, als hätten wir was zu feiern.«
»Ich glaube, das war der Grund, warum ich mich nicht gemeldet habe, Av. Weil ich wegziehe.«
Er nickte. »Ich habe mir so etwas schon gedacht.«
»Wirklich?«
»Ja, etwas in der Art.«
»Bist du mir jetzt böse, Av?«
Er zwinkerte ihr zu.
» Wer redet jetzt wie ein junger Narr daher, Carrie?«
Er stand auf, ging um den Tisch herum und legte ihr die Hände auf die Schultern, beugte sich zu ihr herab und küsste sie auf die Wange und die Stirn - und dann auf den Mund.
»Ich wäre dir nicht einmal böse, wenn du mir die Flasche über die Rübe ziehen würdest«, sagte er. »Für mich bist du ein einziger Segen gewesen, Carrie. Dass du nun fortgehst, ändert nichts daran. Du musst wissen, ich habe das verrückte Gefühl, dass du mich alten Knacker ein ganz kleines bisschen gern hast. Meinst du, da könnte etwas dran sein?«
Sie nickte unter Tränen. »Na klar, verdammt noch mal. Was glaubst du denn?«
»Dann ist es wirklich erstaunlich, dass du hier sitzt und mich allen Ernstes fragst, ob ich dir böse bin. Du bist mir vielleicht eine Beobachterin. Schäm dich.«
Sie musste lächeln.
»Jetzt sei so gut und mach die Flasche auf.«
Als sie ihn am nächsten Morgen verließ, schaute er ihr durchs Küchenfenster nach. Sie winkte ihm einmal zu und lächelte, bevor sie ins Auto stieg. Er erwiderte den Gruß mit dem dampfenden Kaffeebecher in der Hand.
In diesem Augenblick prägte er sich ihr Bild ein.
In der Nacht davor hatten sie darüber geredet, dass er irgendwann einmal seine Tochter in Boston besuchen würde und sie sich dann treffen könnten. Aber er wusste, dazu würde es nie kommen. Sie würde in ihr eigenes Leben verschwinden und er in seines. Deshalb prägte er sich ihr Gesicht ein, ihr Lächeln, den strahlenden Morgen, einfach alles. Damit ihm wenigstens dieses Bild von ihr blieb, falls er sie nie wieder sehen sollte.
Er hatte ihr nichts von dem lautlosen Krieg erzählt, der in seinem Blutkreislauf tobte und den er zweifellos verlieren würde. Dieser Krieg, den er schon in jener Nacht, zerschunden und angeschossen, allein im Wald mit Red, irgendwie gespürt hatte.
Ihm fiel kein Grund ein, warum er es ihr hätte erzählen sollen.
Die Ärzte hatten ihm erklärt, dass ein Lymphom Jahre brauchte, bis es einen umbrachte. Er hatte also noch eine Schonfrist.
Auch sah er keinen Anlass dafür, es Allie zu erzählen. Sie hatte genug mit dem Baby in ihrem Bauch zu tun. Er hatte den Ärzten das Versprechen abgenommen, es niemandem zu sagen.
Das würde er selbst tun, wenn der Zeitpunkt gekommen war.
Ludlow nippte am Kaffee und blickte dem Auto nach, das den Hügel hinabfuhr und in der Ferne verschwand. Er ging durch die Küche und trat durch die Hintertür auf die kleine Veranda hinaus. In dem Goldrutenfeld, das hinter der Veranda sanft zu der Stelle anstieg, wo Red begraben lag, konnte er sich das wogende Meer vorstellen und sah sich an Deck eines Schoners stehen. Ganz allein, nur mit einer Mannschaft verstummter Seelen.
Er beschäftigte sich mit dem angefallenen Papierkram, mit Bestellungen und den diversen Arztrechnungen. Als der Tag seinem Ende entgegenging, hörte er draußen ein Auto vorfahren.
Er schaute aus dem Fenster und sah, dass es Emma Siddons war. Sie hatte ein rotes Sweatshirt-Bündel in den Händen und schritt energisch, ganz wie es ihre Art war, auf die Haustür zu. Er fand, dass sie älter aussah als bei ihrer letzten Begegnung. Aber das galt vermutlich auch für ihn.
Er machte die Tür auf. Das Erste, was er sah, war ein rostbrauner Wuschelkopf mit dunklen Knopfaugen, die neugierig aus dem Pullover hervorlugten.
Er lachte und hielt dem Hund die Hand hin. Der kleine Kerl schnüffelte daran, begann sie abzuschlecken und wand sich aufgeregt in Emmas Händen.
»Mein Gott. Kann das wahr sein, oder bilde ich es mir bloß ein?«, fragte er.
Emma lachte verschmitzt. »Nein, nein. Sie haben völlig recht.« Sie schüttelte den Kopf. »Der gute alte Red war bis zum Schluss ein Schwerenöter. Evangeline hatte einen Viererwurf. Zwei sind schwarz wie sie selbst, zwei sind rostbraun. Erst hat sie drei Weibchen bekommen und am Ende dann diesen kleinen Racker hier.«
Sie öffnete das Sweatshirt und reichte Ludlow den Hund. Der Welpe leckte ihm kurz übers Gesicht und machte sich dann über Ludlows Finger her.
»Wie alt ist er denn? Sechs Wochen?«
»Mhm. Höchste Zeit, dass ich ihn loswerde.«
»Was soll das heißen? Sie wollen ihn
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