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Blutrotes Wasser

Blutrotes Wasser

Titel: Blutrotes Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Torsten Krueger
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gespeist.«
    »Du warst schon öfter da, oder?«
    »Ja, vor zwei Jahren versuchten wir ein komplettes Strömungs-Monitoring. Fließgeschwindigkeit und -richtung. Na, du weißt schon.«
    Lena nickte. Sie war zwar die jüngste, aber mitnichten die unerfahrenste Mitarbeiterin ihres Vaters. Seit sie denken konnte, war Lena mehr im Wasser als auf dem Land gewesen, war erst im Schwimmbecken, dann im Meer und schließlich in Höhlen getaucht. Ihre Ma sagte immer: »Du hast nicht Milch an der Mutterbrust eingesogen, sondern Pressluft aus einer Taucherflasche.«
    »Und deswegen wollen sie dich in Budapest«, meinte Lena. »Aber Rotalgen, klingt das nicht ein bisschen merkwürdig?«
    Ihr Vater nickte. »Und warum?«
    Lena verdrehte die Augen. Papa hatte seinen Ich-prüfe-meine-Studenten-Blick aufgesetzt und erwartete eine richtige Antwort. Manchmal ging Lena sein Lehrergehabe ganz schön auf den Keks. »Erstens«, zählte sie auf, »sind Rotalgen im Süßwasser extrem selten. Die tauchen sonst nur im Meer auf. Zweitens sind die Mengen ungewöhnlich. Also, um ein ganzes Schwimmbad zu färben, da braucht es schon eine Masseninvasion. Und drittens stimmt die Färbung nicht. Tiefrot?«
    »Blutrot«, schmunzelte ihr Vater.
    »Buh! Mir fällt kein vierter Punkt ein, aber … Hey, wir sind gleich da!«
    Aus dem Lautsprecher schnatterte es englisch, deutsch und ungarisch – und auch die triste Stadtlandschaft, die im Fenster vorbeirauschte, sprach lautlos von ihrer Ankunft: Hochhauskomplexe, Industrie, Tristesse.
    »Warum sieht der Rand von jeder Großstadt bloß so hässlich aus?«, fragte Lena die Zugscheibe.
    »Hey, in Budapest leben fast zwei Millionen Menschen«, antwortete ihr Vater. »Irgendwo müssen die ja wohnen. Und auch in Wien gibt’s hässliche Ecken.«
    »So hässlich?«
    »Ach geh, Lena. Hilf mir lieber mit den Koffern, ja?«
    »Bitte, gerne!«
    »Köszönöm szépen, mein Schatz.«
    13.27 Uhr, Stadtteil Óbuda, Wohnsiedlung Faluház
    Home, sweet home. Unsere eigene kleine Burg. Ha! Lázlo kickte eine leere Bierdose aus dem Weg, musterte den überquellenden Mülleimer im Hauseingang und die schwarzen Kreise auf dem Boden: ausgespuckte, zertretene und angetrocknete Kaugummis. Wut flammte in Lázlo auf, ein feuriger Zorn, den er kaum zu kontrollieren vermochte. Seit einer Woche brannte Lázlo. Eine Woche war es her, dass er in der Badewanne mit der Rasierklinge gespielt hatte. Und mit seinem Leben. Er ruckte an der klemmenden Eingangstür, bis sie nachgab, und schlurfte in den mit Graffiti beschmierten Gang. Niedrige Decken, dunkle Wege. Die Briefkästen kotzten Werbung aus ihren Schlitzmäulern. Der Aufzug funktionierte, aber da man nie wusste, wie lange, nahm Lázlo die Treppe. Erst im fünften Stockwerk, wo es immer ein bisschen nach Pisse roch, kam er außer Atem. Obwohl er ein schlaksiger Typ war – dürr wie eine Kiefernnadel im Sommer, hatte Mama früher gesagt – und obwohl sich kaum Muskeln unter seinem T-Shirt abzeichneten, war Lázlo fit. Er war kein Rambo, hatte aber Ausdauer. Aber das war ihm ohnehin egal. So wie alles egal war. Stimmte das? Lázlo biss die Zähne aufeinander und spürte das Zornfeuer in seinem Bauch brennen. Endlich erreichte er den achten Stock, hörte schon an der Treppe die Blechmusik ihres Nachbarn. Ein alter sowjetischer Ex-Soldat, der Tag und Nacht seine Militärmärsche vom Band schallen ließ. Auf ihrer anderen Seite wohnte ein junges Ärztepaar. Von denen hörte man nie etwas. Die Wohnungen im Plattenbau waren klein, die Wände papierdünn: Wenn über ihnen die Witwe Oszmon Toilettenpapier abriss, hörte Lázlo unten das leise Ratschen. Eine Woche, dass er fast gestorben wäre. Eine Woche voller Wut, Verzweiflung und Ratlosigkeit. Eine Woche voller Bildfetzen, die in seinem Gehirn herumschleuderten: sein Vater vor fünf Jahren, blutend, sterbend, mit wütendem Blick. Seine Mutter heulend, kreischend, hysterisch. Und Irina, Irina, die Hübscheste aus der Jahrgangsstufe, Miss Sexy persönlich, wie sie lacht und lacht und nicht aufhören kann. Über ihn. Über Lázlo, der jetzt sogar seinen Selbstmord verpfuscht hatte.
    Er ging weiter den Gang entlang zur 40-Quadratmeter-Wohnung, in der seine Mutter und er wohnten. Wurde nicht nur von der immer lauter werdenden Marschmusik ihres Nachbarn empfangen, sondern von einem Schatten, der gebückt an der Wand kauerte.
    »Szervusz * , mein Freund!« Janosch rappelte sich auf, machte ein paar Schritte und klopfte Lázlo auf die Schulter.

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