Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutrotes Wasser

Blutrotes Wasser

Titel: Blutrotes Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Torsten Krueger
Vom Netzwerk:
Rockmusik direkt über seine Ohren. Summte im Kopf den Refrain des Stücks mit – Moby Dick sang oder schrie: »Es stinkt, es stinkt, ES STINKT.«
    Ja, dachte Lázlo dabei. Nach Schwefel.
    14.40 Uhr, Polizeipräsidium, Teve utca
    »Entschuldigen Sie, Doktor Meinrad, dass wir sie so überfallen haben.«
    »Hm. Ja«, sagte Lenas Vater. Er hockte mit seiner Tochter in einem Büro im Polizeipräsidium von Budapest; ihnen gegenüber hatte sich Grau 1 aufgebaut, jetzt wenigstens ohne Jackett. Obwohl, wie Lena fand, das weiße Hemd und die langweilige Krawatte auch nicht viel besser aussahen.
    Die beiden Kommissare hatten sie aus dem Westbahnhof geführt und weiter zu einem in der Sonne grell weiß leuch­tenden Skoda mit dem hellblauen Schriftzug
Rendörség
auf der Motorhaube.
    »Das heißt ›Polizei‹«, hatte ihr Vater erklärt.
    »Ach«, schnippte Lena zurück. »Ich dachte, da steht ›Müllabfuhr‹ oder so.«
    Die beiden Kommissare vorne, Lena und ihr Papa hinten, so waren sie losgebraust. Zwar ohne Sirene und Blaulicht, aber trotzdem wie Verbrecher. Irgendwie. Jedenfalls hatte Lena sich ihre erste Sightseeing-Fahrt durch Budapest anders vorgestellt. Mit einem Touristenbus vielleicht oder einer Fahrradrikscha. Aber nicht so.
    Grau 2 kam mit einem Tablett zurück, stellte vor Lena eine kleine Plastikflasche Wasser ab und nickte ihr zu. Sie prüfte – kalt. Was für eine Wohltat! In einem Rutsch trank sie den Viertelliter aus, schaute sehnsüchtig zu Grau 2 hoch und klimperte lächelnd mit den Wimpern. Der Polizist seufzte und holte Nachschub.
    »Na gut«, sagte ihr Vater endlich. »Aber … ich verstehe immer noch nicht, was Sie von uns wollen. Wir hätten uns längst bei der Universität melden müssen und …«
    »Professor Radelodz«, sagte Grau 1, »wurde bereits informiert. Er wird sich später mit Ihnen treffen. Nun, kurz gesagt: Auch wir brauchen Ihre Hilfe.«
    »Aber was …«
    »Um es zu machen kurz …« Kommissar Frenyczek stolperte ein bisschen über die deutsche Satzstellung, aber Lena war die Letzte, die sich darüber lustig machen würde. Kösz­ö-nöm, fiel ihr plötzlich ein. Danke. Sie hatte sich dieses verdammte Wort doch tatsächlich gemerkt.
    »Der Zwischenfall im Gellért-Bad«, machte der Polizist weiter, »das waren keine – wie sagen Sie? – Algen?«
    Lenas Vater nickte. »Rotalgen.«
    »Nem, keine Rotalgen. Sondern ein Farbstoff. Künstlich.«
    Emil Meinrad schob missbilligend die Augenbrauen zusammen. Auch diesen Gesichtsausdruck kannte Lena gut. Sie konnte sich vorstellen, wie es in ihm rumorte: Keine Algen? Hatte er sein Forschungssemester an der Uni und den Urlaub beim Naturhistorischen Museum Wien für einen dummen Streich verplempert?
    »Aber warum wollte dann Professor Radelodz, dass ich herkomme?«, fragte er brummig. »Ich bin Speläologe und kein Chemiker.«
    »Ja. Entschuldigen Sie.« Lena kam es vor, als wäre der Kommissar nervös. Immer wieder huschten seine Augen zwischen Lena und ihrem Vater hin und her – oder flüchteten sich zum Fenster. Eine Klimaanlage blies kalte Luft in das Büro. Grau 2 schlüpfte durch die Tür und stellte Lena augenzwinkernd eine 1,5-Liter-Flasche Mineralwasser auf den Tisch. Sie lächelte dankbar.
    »Nun, ein Farbstoff, ja«, murmelte Kommissar Frenyczek. »Wir verbreiteten die Nachricht von den … Algen, um zu verhindern eine Panik. Verstehen Sie?«
    »Panik?«, fragte Lenas Vater. »Wieso Panik?«
    »Nun.« Die Stimme des Polizisten wurde noch leiser. Er beugte sich über den Tisch näher an sie heran. »Wir vermuten, es handelte sich um einen Test. Wir vermuten, dass Ähnliches noch einmal passiert. Aber dann nicht mit Farbe.«
    »Sondern?« Die Augenbrauen ihres Vaters schoben sich noch ein bisschen enger aneinander.
    »Gift«, murmelte Kommissar Frenyczek.
    17.10 Uhr, Wohnsiedlung Faluház
    Lázlo schob sich den Kopfhörer vom rechten Ohr und lauschte vorsichtig. Keine Marschmusik mehr. Und die Fernsehgeräusche aus dem Wohnzimmer ebenfalls leise: ein monotoner akustischer Wasserfall, aber nur noch murmelnd.
    Er befreite auch sein linkes Ohr und schaltete die Anlage aus. Fast drei Stunden hatte er sich zudröhnen lassen von Moby Dicks Trash-Rock, jetzt brummte sein Kopf wie eine Flugzeugturbine. Er machte das Fenster auf und ließ die heiße, abgasschwangere Luft von Budapest in sein Zimmer. Er schritt den Raum ab, fünf mal fünf Schritte: Bett, Schrank, Stuhl und Tisch. Und ein Regal. Bücher. Fast alle auf Deutsch. Alt, in Leder

Weitere Kostenlose Bücher