Blutschwestern
Aufgabe erfüllen. Außerdem …«. Sie wies mit einem knochigen Finger auf einen unbestimmten Punkt in den
Bäumen. »… er wird über sie wachen und ihr kaum von der Seite weichen.«
Nona nahm sich nur so lange zusammen, bis sie aus dem Blickfeld der Alten verschwunden war. Allein ihr Trotz hielt sie aufrecht.
Als sie überzeugt war, nicht mehr beobachtet zu werden, ließ sie sich an einem Baumstamm nieder und rieb über ihr schmerzendes
Bein. Wie sollte sie es schaffen, mit einem nicht völlig gesunden Bein nach Dungun zu gelangen? Wie sollte sie das Sumpfland
durchqueren und sich gegen die Schjacks verteidigen? Es wäre sicher nicht schwer, nach Dungun hineinzugelangen, wenn sie erst
einmal da wäre. Niemand dort kannte sie, und wenn sie sich nicht auffällig benahm, würde sie einfach durch die Tore von Dungun
in die Stadt hineingehen und sich unter die Menschen mischen. Akari kannte zwar ihr Gesicht und konnte sie verraten, doch
genau wegen Akari ging Nona ja nach Dungun. Diese Gefahr musste sie wohl oder übel in Kauf nehmen.
Suchend sah Nona sich um. Wie sollte sie ohne Dawon aus dem Wald hinausfinden, und was würde sie tun, wenn ein Schjack sie
aufspürte? Nona vermutete zwar, dass der Schjack, der sie in der Höhle angefallen hatte, derselbe gewesen war, der sie zuvor
auf der Lichtung beinahe zerfleischt hätte. Aber wer wusste schon, was ihn die Grenze der Wälder hatte übertreten lassen?
Es konnte gut sein, dass noch andere sich im Isnalwald herumtrieben.
Dann begannen große Tropfen in ihr Gesicht zu prasseln. Zu allem Überfluss hatten die beiden Alten recht behalten. Es begann
zu regnen. Nona fand zwar einen hohlen Baumstamm, in den sie hineinkroch, doch da war sie bereits nass bis auf die Haut. Stumm |99| verfluchte sie die Waldfrauen, die sie so einfach fortschickten, nachdem sie den ganzen Tag an ihrem Dach herumgeflickt hatte.
Zumindest die beiden Alten lagen nun im Trockenen. Was war es nur für ein dummer Einfall gewesen, allein nach Dungun zu gehen!
Für wie großartig hielt sie sich … sie, die zu unscheinbar war, um das Mitgefühl von zwei alten Weibern zu wecken.
Das erste Mal, stellte sie irritiert fest, fehlte ihr Dawon an ihrer Seite … Dawon, der ihrem angeschlagenen Selbstbewusstsein
so guttat, der sie behandelte, als wäre sie nicht Nona, sondern die Königin von Engil.
Grimmig verdrängte Nona den Katzenjammer aus ihrem Kopf. Sie hatte Dawon zurückschicken müssen. Es war nicht auszudenken,
was geschehen würde, wenn er in die Hände von Muruks Priestern fiel. Was mochten sie über Dawon und die Prophezeiung wissen?
Die Alten hatten behauptet, Muruk würde durch die Augen der Schjacks sehen, und ein Schjack war in der Höhle bei der Quelle
gewesen. Doch Schjacks besaßen kein Feuerkraut, und die Kreatur hatte mit dem Rücken zur Wand gestanden, bevor sie ihn niedergestreckt
hatte, so dass seine Augen die Verkündung nicht hatten erkennen können. Dieser Umstand beruhigte sie etwas, so dass sie schließlich
einige wenige Stunden Schlaf fand.
Nona erwachte erst am späten Vormittag des nächsten Tages. Es hatte aufgehört zu regnen, und die Sonne sandte hier und da
ihre wärmenden Strahlen durch die Baumwipfel. Daher fasste sie neuen Mut, zudem sie erleichtert feststellte, dass ihr Bein
nicht mehr so schmerzte. Zwar humpelte sie noch immer, doch sie kam schneller voran. Die Waldfrauen, ihrem Gezetere zum Trotz,
waren ausgezeichnete Heilerinnen. Zumindest hatten sie Nonas Wunde gut versorgt.
Nona erreichte die Grenzen des Isnalwaldes nach wenigen Tagen. Obwohl sie meinte, umherzuirren und im Kreis zu laufen, trat
sie eines Mittags aus dem Wald heraus. Ihr Bauch wurde flau, als sich |100| das Sumpfland Dunguns vor ihr auftat. Sofort überkam sie das Gefühl, dass hier Licht und Dunkel aufeinander trafen. Kein Leben
schien dieses öde Land zu bergen, das sich vor ihr erstreckte. Zweifelnd sah Nona hinauf zur Sonne. Wenn ihr Bein vollkommen
gesund gewesen wäre, hätte es kaum einen Tagesmarsch gedauert, das Sumpfland zu durchqueren. So aber zweifelte sie daran,
dass sie vor Einbruch der Dunkelheit Dunguns Tore erreichen konnte. Es wäre besser gewesen, bis zum nächsten Tag zu warten,
doch andererseits schien ihr die Aussicht nicht sehr verlockend, hier zu übernachten. Innerhalb der Stadttore von Dungun wäre
sie zumindest vor den Schjacks sicher, und solange es Tag war, würde sie die Kreaturen schon von weitem
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