Blutträume
Geräusch glich einer Explosion. War eine Explosion. Eine Woge reiner Energie war in unheimlicher Stille von Dani ausgeströmt, was das donnernde Krachen der nach innen geschleuderten Tür nur umso ohrenbetäubender machte.
Marc folgte Bishop und Roxanne zum Eingang des Raums, trat aber nicht ein, sondern schlang im Korridor die Arme um Dani, als sie plötzlich gegen ihn sackte. All ihre Energie war verbraucht.
Was er sah, war ziemlich überraschend, und an der erstarrten Haltung der anderen erkannte er, dass sie über die Szene vor ihnen ebenso verblüfft waren wie er.
Ein sehr gewöhnlich aussehender Mann, an dem man auf der Straße ohne einen weiteren Blick vorbeigegangen wäre, kauerte in der hintersten Ecke des Raumes, in der Hand so etwas wie ein Skalpell, mit dem er wild in der Luft herumfuchtelte und dabei unverständliche Laute von sich gab, die Wut hätten ausdrücken können – oder Entsetzen. Er schien zu kämpfen oder sich verteidigen zu wollen, aber was auch immer seine seltsam flachen, glänzenden Augen als Bedrohung ansehen mochten, war für die Ankömmlinge unsichtbar.
Doch zu ihrer ungeheuren Erleichterung sahen sie Hollis in der Mitte des Raumes festgeschnallt auf einem Edelstahltisch liegen, der am Kopfende um fünfundvierzig Grad nach oben gekippt war.
Das Monster hatte sie ganz schön zugerichtet und war eindeutig gerade dabei gewesen, ihre Kleidung aufzuschneiden, bevor er … unterbrochen wurde, aber sie war sehr lebendig.
»Hollis?« Bishops normalerweise kühle Stimme klang zittrig.
Sie drehte den Kopf, schaute Bishop an, und ihre geschwollenen Lippen lächelten, wenn auch nur ein wenig. »Ich will eine Gehaltserhöhung, Boss. Entweder das, oder einen neuen Job.«
»Was zum Teufel hast du mit ihm gemacht?«, fragte Roxanne, den Blick auf das verzweifelt kämpfende Monster gerichtet.
»Ihr könnt sie nicht sehen, doch ich habe einen ganzen Trupp hier im Raum. All seine Opfer sind gekommen, um ihren Mörder zu besuchen. Und eines sag ich euch, die waren vielleicht sauer! Im Moment erzählen sie ihm alles über die Hölle. In Technicolor.«
Bishop bedeutete Roxanne, ihre Waffe auf das Monster gerichtet zu halten, steckte seine eigene Waffe weg und machte sich daran, Hollis zu befreien.
»Seine sämtlichen Opfer?«
»Na ja, die meisten. Ich habe Angst bekommen und eine Menge Türen geöffnet.« Sie zuckte leicht zusammen. »Aua.«
Roxanne sagte: »Kann sein, dass ich ihn erschießen muss, um ihm das Skalpell abzunehmen.«
»Nur zu«, sagte Marc. Dann schaute er Dani an. »Alles in Ordnung mit dir? Das sah …«
»Paris hat geholfen. Ganz am Ende.«
»Ist sie …?«
»Sie ist tot.« Dani wusste nicht, wann sie zu weinen begonnen hatte, aber sie konnte nicht aufhören. Sie fühlte sich leer, und es lag nicht an dem, was sie getan hatte, sondern an dem, was sie verloren hatte. »Sie hat wohl so lange durchgehalten, wie es ihr möglich war, um uns zu helfen.«
Für Dani war es kein Trost, sich ins Gedächtnis zu rufen, dass Paris und sie seit Wochen tief innerlich Bescheid gewusst hatten. Auch die Erkenntnis, dass ihnen wenigstens die Zeit vergönnt gewesen war, voneinander Abschied zu nehmen, half wenig.
Ihre andere Hälfte war ihr weggerissen worden, oder fast die Hälfte. Paris hatte ihre Fähigkeiten an ihre Zwillingsschwester weitergegeben, sogar ihre Lebenskraft, und Dani spürte auch das. Sie wusste, dass sie nicht ganz so allein war, wie andere vermuten würden.
Aber auch das half nicht.
»Es tut mir leid, Dani. Es tut mir so leid.«
»Ja, mir auch.« Sie versuchte zu lächeln, brachte es jedoch nicht recht zustande. »Obwohl ich die ganze Zeit wusste, dass es passieren würde.«
»Du wusstest es?«
»Ja. Paris auch. Daher übertrug sie mir ihre Fähigkeiten, als es noch möglich war.«
»Er war hinter dir her, nicht hinter ihr.«
»Vielleicht hat er es zuerst bei Paris versucht und stieß auf den Schutzengel. Oder er hatte es die ganze Zeit auf mich abgesehen. Aber ich glaube, ich habe ihn überrascht, ihn vielleicht sogar verletzt. Er hat wohl nicht damit gerechnet, dass ich so schnell lernen könnte, Energie zu kanalisieren. Ich letztlich auch nicht.«
Sie schaute zu dem Monster, das ihr so viel genommen hatte, ihr und so vielen anderen Menschen, und obwohl das Verlustgefühl sie fast betäubte, machte sich ein Unbehagen bemerkbar. »Ich glaube nicht …«
»Was glaubst du nicht?«, fragte Marc.
»Ich bin zu müde, meine Sinne zu benutzen, wirklich, doch was
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