Bob, der Streuner
Antwort auf meine Fragen. Dabei machte sie abwehrende Handbewegungen in meine Richtung und wandte sich zum Gehen. »Is nich gut, is nich gut«, wiederholte sie noch, bevor sie in der Menge verschwand.
Ich habe mich damit abgefunden, dass es immer Leute geben wird, die mich verdächtigen, Bob schlecht zu behandeln, die keine Katzen mögen oder etwas dagegen haben, dass ein Big-Issue- Verkäufer mit Katze anstatt mit Hund unterwegs ist.
Schon zwei Wochen nach dem Streit mit der Chinesin hatte ich eine andere Art der sich wiederholenden Auseinandersetzungen.
Seit ich mit Bob unterwegs bin, hat es immer Leute gegeben, die ihn mir abkaufen wollten. »Wie viel willst du für die Katze?«, fragten sie mich. Meine Standardantwort war: »Das könnten Sie sich nicht leisten.«
Auch an der Angel Station gab es Leute, die mir Bob abschwatzen wollten. Eine Frau war besonders hartnäckig. Jedes Mal unterhielt sie sich zuerst freundlich mit mir und fing im Laufe des Gesprächs an, mich zu bearbeiten.
»Schau, James«, ging es jedes Mal los. »Ich finde, Bob sollte nicht mit dir auf der Straße herumlungern. Er verdient ein schönes, warmes Zuhause und ein besseres Leben, meinst du nicht auch?«
Und am Ende kam immer die Frage: »Also, wie viel willst du für ihn haben?«
Ich schüttelte nur noch den Kopf, woraufhin sie versuchte, mich mit Zahlen zu locken. Sie fing mit 100 Pfund an und ging hoch bis 500 Pfund.
Bei ihrem letzten Besuch vor ein paar Tagen übertraf sie sich selbst: »Ich gebe dir 1000 Pfund.«
Ich sah ihr geradewegs in die Augen. »Haben Sie Kinder?«, wollte ich wissen.
»Äh, ja, wieso?«, stotterte sie etwas verwirrt.
»Gut. Okay. Also, für wie viel Geld würden Sie Ihr jüngstes Kind verkaufen?«
»Was soll die Frage?«
»Wie viel kostet Ihr jüngstes Kind?«
»Ich glaube nicht, dass das eine angemessene Frage ist …«
»Doch, genau darum geht es«, unterbrach ich sie. »Denn Bob ist mein Kind, er ist mein Baby. Und wenn Sie mich fragen, ob ich Bob verkaufe, dann ist das für mich, als würden Sie Ihr Kind verkaufen müssen.«
Sie machte auf dem Absatz kehrt und lief weg. Ich habe sie nie wieder gesehen.
Aber die meisten Leute waren so nett wie die U-Bahn-Mitarbeiter der Angel Station. Eines Tages unterhielt ich mich mit Vanika, einer Fahrkartenkontrolleurin, die ganz vernarrt in Bob war. Sie amüsierte sich darüber, wie viele Leute wegen Bob stehen blieben, mit ihm redeten und Fotos von ihm machten.
»Er macht unsere Haltestelle noch berühmt, warte es ab!«, scherzte sie.
»Ja, bestimmt«, pflichtete ich ihr bei. »Ihr solltet Bob als Mitarbeiter einstellen. In Japan gibt es einen Kater, der ist Stationsvorsteher. Er trägt sogar eine kleine Uniform-Mütze.«
Vanika kicherte: »Ich weiß nicht, ob es gerade freie Stellen bei uns gibt!«
»Na, wenigstens einen Ausweis oder so was könntet ihr ihm doch geben«, spann ich die Idee weiter.
Ihr Gesicht wurde nachdenklich. Sie verabschiedete sich, und ich vergaß unser Gespräch.
Als wir Vanika etwa zwei Wochen später an unserem Verkaufsplatz vor dem U-Bahnhof wieder trafen, grinste sie uns schon von Weitem verheißungsvoll entgegen.
»Was ist los?«, fragte ich.
»Nichts. Aber ich hab hier was für Bob.« Stolz präsentierte sie mir einen laminierten Fahrausweis mit Bobs Foto.
»Wow, das ist ja toll!«, rief ich aus.
»Das Foto habe ich aus dem Internet«, erklärte sie mir.
Ich war verblüfft. Wie zum Teufel kam Bob ins Internet?
»Und was bedeutet dieser Ausweis?«, wollte ich wissen.
»Das heißt: Bob darf ab sofort und auf Lebenszeit kostenlos U-Bahn fahren«, lachte sie.
»Ich dachte, Katzen brauchen sowieso nicht zu bezahlen«, grinste ich.
»Okay, also dann bedeutet der Ausweis, dass wir alle große Bob-Fans sind und ihn als Familienmitglied betrachten.«
Ich spürte einen Kloß im Hals und musste mich schwer zusammenreißen, um die aufsteigenden Tränen zurückzuhalten.
20
Die längste Nacht
D er Frühling 2009 war überfällig. Die Abende waren immer noch dunkel und trist. Wenn ich gegen sieben meine Arbeit als Big-Issue -Verkäufer beendete, brach bereits die Abenddämmerung herein, die Straßenlaternen blitzten auf und die Gehwege füllten sich.
In den ersten Monaten des Jahres waren die Straßen nicht so überfüllt wie sonst, weil in dieser Zeit kaum Touristen unterwegs waren. Aber sobald es wärmer wurde, erwachte die Gegend um die Angel Station aus ihrem Winterschlaf. Die Pendler und Touristen waren wieder da,
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