Boccaccio. Der Dichter Des Dekameron.
das Treiben und Gebaren der Menschen von damals treuer und deutlicher als ein Spiegel vor unsre Augen stellt. Dazu gehört auch seine Schilderung der schrecklichen Pest, welche mit Recht als ein Meisterstück angesehen wird. Der berühmte Herr Machiavelli, da er am Ende des zweiten Buches seiner Istorie Fiorentine dieser Schreckenszeit gedenkt, enthält sich einer weiteren Beschreibung und redet nur von »der Pest, welche Messer Boccaccio mit so herrlicher Beredsamkeit geschildert hat und durch welche die Stadt mehr als 96 000 Einwohner verlor«. Und sicherlich hat selten ein so entsetzliches Unglück eine so köstliche Frucht getragen wie die große Pest von Florenz, zu deren Andenken das Dekameron geschrieben worden ist.
N achdem wir betrachtet haben, in welcher Weise
Boccaccio von der Liebe, von der Religion, von edlen Taten und vom täglichen Leben aller Stände redet, bleibt übrig, zu einem fröhlichen Schlüsse auch noch der Schelmenstücke, Witzworte und Possen des Zehntagebuches zu gedenken. Was diese betrifft, so kann man sagen, daß in den Schwanken des Dekameron der witzige Florentiner Geist sich selber übertroffen habe. Denn wenn schon ohnehin die Florentiner jederzeit Freunde von Schalkspossen als auch wahre Muster im Erzählen derselben und in sonstigen Witzen gewesen sind, so hat Boccaccio diese muntere Kunst wahrhaft unübertrefich verstanden. Unter denjenigen seiner Nachfolger, welche ihm mit dem größten Glücke nacheiferten und es ihm in manchem gleichzutun schienen, hat kein einziger in so hohem Maße diese Gabe besessen, komische Dinge in wenigen Worten mit Grazie und feinem Humor vorzutragen.
Auf diesem Gebiete hat es dem Dichter gewiß noch weniger als auf anderen an Stoff gemangelt, denn an Witzbolden, Schelmen, Schalksnarren und ihren Stücklein ist die Stadt Florenz schon von frühen Zeiten her unglaublich reich gewesen, und auch jetzt noch hört man in ganz Italien nirgends so viele drollige oder bissige Scherzworte, Schimpfnamen, Spottreden und Wortspiele wie in Florenz, und es ist gut, daß die Fremden sie nicht alle verstehen. Von zahllosen Beamten, Malern, Gelehrten, Baumeistern, Goldschmieden, Bildhauern und andern hochberühmten Florentinern sind uns aus allen Jahrhunderten eine Menge von Streichen und lustigen Anekdoten überliefert. Man braucht sich nur etwa an Brunelleschi, den Erbauer der Domkuppel, zu erinnern, der die fabelhafte Ulkerei mit dem dicken Tischler anstellte, oder an den großen Lorenzo dei Medici, genannt il Magnifco, welcher zu seinen Zeiten einer der berühmtesten Fürsten der ganzen Welt gewesen ist und doch noch Zeit und Laune genug hatte, um mit größter Überlegung dem Arzt Manente einen höchst durchtriebenen und gründlichen Streich zu spielen, wie es uns Herr Antonio Francesco Grazzini, beigenannt il Lasca, erzählt hat.
So gab es auch zu Boccaccios Zeiten manche Streichemacher in seiner Vaterstadt, und unter ihnen standen, neben dem lustigen Witzbold Michele Skalza, obenan die beiden Maler Bruno und Buffalmacco, samt ihrem Freunde Maso del Saggio. Diese haben teils ihrem sehr einfältigen Freunde Calandrino, der gleichfalls ein Maler war, teils dem Arzte Simone, teils anderen, eine Menge Schabernack angetan. Denn kaum hat am achten Tage des Dekameron das Fräulein Elisa ein Stücklein von ihnen erzählt, so fallen sogleich mehreren Zuhörern andere solche Streiche der beiden ein, welche sie unter vielem Gelächter mitteilen. Diesen Kameraden Bruno und Buffalmacco gelang es einst, dem guten Calandrino ein fettes Schwein zu stehlen, ihm weiszumachen, er hätte es sich selber gestohlen, und sich von ihm noch dafür bezahlen zu lassen, daß sie reinen Mund hielten. Damit nicht genug, machten sie ihn ein andermal in eine Dirne verliebt, knöpften ihm Geschenke für dieselbe ab und holten dann, als er endlich sich seiner Liebe erfreuen wollte, im fatalsten Augenblick seine wütende Frau herbei. Was soll man aber dazu sagen, daß sie bei einer anderen Gelegenheit es verstanden, diesem selben Calandrino einzubilden, er sei schwanger, und ihn, nicht ohne ein ordentliches Entgelt dafür zu nehmen, nach einigen Tagen durch eine Schüssel Haferschleim vor der Niederkunft bewahrten?
Ewig unvergeßlich und lächerlich aber ist des famosen Dioneus Historie von Bruder Zippolla, die er am sechsten Tag erzählt. Dies Stücklein spielt in Certaldo, der Heimat des Hauses Boccaccio. Der Bruder Zippolla ist, um die guten Einwohner wieder einmal
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