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Boccaccio. Der Dichter Des Dekameron.

Boccaccio. Der Dichter Des Dekameron.

Titel: Boccaccio. Der Dichter Des Dekameron. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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ordentlich zu schröpfen, zum Almosensammeln nach Certaldo gekommen und hat den Bauern versprochen, er werde ihnen in der Kirche eine wunderbare Reliquie zeigen, nämlich eine Feder des Engels Gabriel. Indes er aber die Messe liest, entwenden ihm einige Spaßvögel die mitgebrachte Papageienfeder und legen statt derselben ein paar Kohlen in sein Kästchen. Alsdann hält er eine herrliche Predigt zum Preise des Engels Gabriel, wie er aber die Feder nehmen und vorzeigen will, fndet er sein Reliquienkästchen voller Kohlen. Sogleich beginnt er eine neue Rede, worin er eine schwindelhafte Reise durch allerlei Schlaraffenländer erzählt, wobei er bis zum Patriarchen von Jerusalem gelangt. Dann fährt er fort:
      »Der Patriarch zeigte mir so viele heilige Reliquien, daß ich sie unmöglich alle herzählen kann. Doch um Euch nicht ganz trostlos zu lassen, will ich wenigstens von einigen sagen. Er zeigte mir zuerst die Zehe des heiligen Geistes, so ganz und unversehrt, wie sie nur je gewesen ist, und den Haarbüschel des Seraph, der dem heiligen Franziskus erschien, und einen der Fingernägel der Cherubim, und eine der Rippen des beiläufg zu Fleisch gewordenen Verbum, und etliche der Kleider des allein selig machenden Glaubens, und einige von den Strahlen des Sternes, der den drei Weisen aus Morgenland erschien, und ein Fläschlein voll Schweiß von dem heiligen Michael, als er mit dem Teufel stritt, und noch anderes mehr. Und weil ich ihm einen Gefallen tat, schenkte er mir einen von den Zähnen des heiligen Kreuzes, und in einer kleinen Flasche etwas von dem Tone der Glocken im Tempel Salomonis, die Feder des Engels Gabriel, außerdem aber gab er mir noch einige Kohlen von denen, auf welchen der allerheiligste Märtyrer Sankt Laurentius gebraten wurde.«
      Und so noch lange weiter. Dann zeigt er den ergriffenen Landleuten statt der Papageienfeder die Kohlen und erntet reiche Gaben. Die Leute drängen sich inbrünstig gegen den Altar, um die Reliquie nahe zu sehen, und Bruder Zippolla malt jedem ein großes, fettes Kohlenkreuz aufs schöne Sonntagskleid.
      Weltberühmt ist ja auch der Einfall jenes Kochs, welcher in der Küche das eine Bein eines gebratenen Kranichs wegnimmt, was sein Herr bei Tische mit Zorn

    Die tolle Nachtherberge

    bemerkt. Der Koch in seiner Angst behauptet, es sei eine Eigenschaft der Kraniche, daß sie nur ein Bein hätten. Nachher geht der Herr mit ihm ins Freie, wo sie bald einige Kraniche erblicken, die alle auf einem Beine stehen. »Seht Ihr wohl?« sagt der Koch freudig. Da klatscht der Herr in die Hände, so daß die Vögel füchten und dabei ihre beiden Beine zeigen. »Schau, daß du gelogen hast!« ruft er zornig und will den Koch züchtigen. Der sagt jedoch: »Herr, es ist Euer Fehler. Hättet Ihr vorher bei Tische auch so geklatscht, gewiß hätte dann auch jener Kranich ein zweites Bein heraus gestreckt.« Der Herr muß lachen und kann nicht umhin, ihm zu verzeihen.
      Es nimmt kein Ende. Da ist die wunderliche Geschichte von der Priesterhose (Tag IX, Nov. 2), des Skalza Witz von den »Baranci« (Tag VI, Nov. 6), die tolle Nachtherberge im Mugnone-Tal (Tag IX, Nov. 6) und eine Menge anderer. Wenn man sie liest und sein unendliches Vergnügen daran hat, könnte man wohl zuweilen meinen, es passierten heutzutage niemals mehr so drollige und gepfefferte Geschichten. Aber dem ist freilich nicht so, sondern diese Sorte von Abenteuern ist unsterblich, und ich selber könnte Euch mancherlei von dieser Art, was ich selber erlebt und gesehen habe, erzählen, wenn ich von der herrlichen Kunst und Gabe des großen Giovanni Boccaccio auch nur den zehnten Teil besäße.

    (Frühjahr 1903 bis Februar 1904)

    ANHANG

    NACHWORT

    Mehr als das Mittelalter faszinierte Hermann Hesse zeitlebens die italienische Renaissance, die für ihn sogar zum Anlaß wurde, sich mit den eigenen literarischen und künstlerischen Vorstellungen auseinanderzusetzen. 2
    Nicht weniger als zehn Reisen führten Hesse zwischen 1901 und 1914 nach Italien, das ihm im Goetheschen Sinn zur »Wahlverwandtschaft« wurde. Optische Reize, Aspekte der Kulturund Geistesgeschichte und literarische Motivtraditionen wurden zu vielseitigen und facettenreichen Inspirationsquellen seiner Dichtung. Allein schon seine autobiographischen Aufzeichnungen der Tagebücher, Reisebilder, Gedichte, Briefe und Rezensionen bekunden, aufweiche Weise Hesse Motive, Eindrücke und Gestalten der italienischen Renaissance in seinem Werk assimiliert

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