Boccaccio. Der Dichter Des Dekameron.
leidenschaftlichen Frauen-Verehrer in seiner Satire Corbaccio zum schonungslosen Frauenverächter werden ließ.
In einer kurzen Analyse dieser Novelle macht Hesse gleichsam wie in einem Psychogramm das Geschehen in seinem ganzen Bedeutungsgehalt evident und versucht darzulegen, wie sehr diese Erzählung durch stärkste Gefühlsunmittelbarkeit gekennzeichnet ist, die in erhöhter Intensität seelischen Erlebens und Gefühlsresonanz bei Boccaccio zum künstlerischen Ausdruck drängt.
Wie schon in seiner Boccaccio-Monographie kritisiert Hesse auch in der Boccacdo-Miszelle die angebliche literarische wie moralische »Umkehr« des alternden Boccaccio und bezeichnet seine Corbaccio-Satire als eine der vernichtendsten literarischen Invektiven gegen die Frauen.
Mit einem diese schroffe Kritik an Boccaccio mäßigenden und versöhnlichen Schlußakkord akzentuiert Hesse noch einmal die zeitlose Wirkung des Dekameron:
»Das alles ist zum Glück nun schon über fünfhundert Jahre her. Der ›Corbaccio‹ ist verschollen … das Bild des alternden Boccaccio ist verblaßt und ferngerückt. Das ›Dekameron‹ aber und sein Verfasser … sind heute noch so jung und blühend und lebendig wie dazumal, und das köstliche Buch macht heute noch unzähligen Jungen und Alten nicht weniger Vergnügen wie einst den Florentinern des Trecento.«
Eine derart ertragreiche literarische Resonanz wie 1904 hat Hesses Auseinandersetzung mit Boccaccio in der Folgezeit nicht mehr gefunden. Allerdings lassen sich Zeugnisse über seine Beschäftigung mit dem italienischen Humanisten auch noch in späteren Jahren recherchieren. Im Feuilleton der Neuen Zürcher Zeitung kündigt er am 12. September 1906 die im selben Jahr im Inselverlag erschienene deutsche Fiammetta-Übersetzung 35 an, wobei er das Dekameron und die Fiammetta als künstlerisch wertvollste Werke Boccaccios bezeichnet und zugleich den Wunsch nach einer Übersetzung der um 1345 / 46 verfaßten Liebes- und Metamorphosengeschichte Ninfale Fiesolano des Toskaners äußert.
Ebenfalls in der Neuen Zürcher Zeitung (22. Oktober 1906) macht Hesse auf die zweite Aufage der Dekamerone-Übersetzung von Schaum aufmerksam.
In seinem Aufsatz Ferienlektüre in der Zeitschrift März vom Jahre 1910 weist Hesse auf die dritte Aufage der DekameronÜbersetzung des Inselverlags hin.
Als 1912 der Inselverlag aus Anlaß des 600. Geburtstags Boccaccios die Dekamerone-Übersetzung von Albert Wesselski in Form einer luxuriösen Jubiläumsausgabe herausgab mit den Illustrationen der venezianischen Edition von 1492, war das für Hesse eine willkommene Gelegenheit zu einigen Refexionen 37 über Boccaccio, die er mit einer Deskription der Luxusausgabe verband. Wahrscheinlich noch unmittelbar unter dem Eindruck seiner Italienreise von 1911 setzt Hesse diesem Artikel gleichsam als Präludium eine skizzenhafte Landschaftsbeschreibung der Heimat Boccaccios voran, die Hesses Empfänglichkeit für Italiens Naturschönheiten refektiert.
In der Neuen Zürcher Zeitung vom 18. November 1912 kündigt Hesse die Jubiläumsausgabe erneut an, wobei er noch detaillierter auf die buchtechnische Ausstattung des Faksimiledrucks der venezianischen Ausgabe eingeht, den sorgfältigen Satz und die ästhetische Antiqua erwähnt, die Reproduktion der Holzschnitte mit der Freskenkunst des Quattrocento vergleicht und abschließend das Dekameron als Meisterleistung der Weltliteratur klassifziert.
Sobald Hesse Gelegenheit dazu fndet, empfehlt er immer wieder Boccaccios Dekameron zur Lektüre. Als die DekameronÜbersetzung von H. Conrad 39 erschien, hebt Hesse dessen Übersetzungsleistung als verdienstvoll hervor und wirbt um ein möglichst breites Leserpublikum für Boccaccios Novellenbuch. 40
Wenn er in späteren Jahren seine Begeisterung für Boccaccio auch nicht mehr mit der Intensität artikuliert wie in den beiden ersten Dezennien des zwanzigsten Jahrhunderts, so hat er dennoch das Interesse an der Novellenkunst des Toskaners nie verloren. Wie für seinen Romanhelden Josef Knecht in der
1943 veröffentlichten Lebensbeschreibung Das Glasperlenspiel blieb auch für Hesse Boccaccios Dekameron die geniale Schöpfung der novellistischen Weltliteratur. 42
Von den drei repräsentativen Autoren der italienischen Literatur des Trecento, dem noch mehr zum Mittelalter zählenden Dante, Petrarca und Boccaccio, deren Namen im Rahmen der geschichtlichen Periodisierung des Humanismus nach dem Mittelalter die Wiedergeburt der europäischen
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