Ich Will Ihren Mann
1
»Verzeihen Sie, spreche ich mit Mrs. Plumley?« Das Mädchen war jung und hübsch, hatte wohlgeformte Brüste und eine erstaunlich heisere Stimme. Lilian Plumley trat verwirrt einen Schritt zurück, und ihre Absätze gruben sich tief in den weichen, frischgemähten Rasen. Sie hatte flache Schuhe anziehen wollen - schließlich war es ein Picknick, auch wenn der elegante Rosedale Country Club den Rahmen dazu abgab. Aber David hatte ihr versichert, die Frauen seiner Kollegen würden im Cocktailkleid erscheinen, und er hatte recht behalten. Dieses Mädchen freilich bildete eine Ausnahme. Sie trug ein saloppes, rotes T-Shirt, und über ihr herausfordernd strammes Hinterteil spannten sich Jeans, die garantiert nicht aus einem Modellgeschäft stammten. Wessen Frau war sie überhaupt? Lilian lächelte und taxierte mit einem schnellen Blick die tiefblauen Augen des Mädchens, ihren makellosen Teint und das raffinierte Make-up, das ihrem Gesicht den Anschein verlieh, völlig ungeschminkt zu sein. Lilians Unbehagen wuchs, als sie erkannte, daß ihr Gegenüber sie einer ebenso gründlichen Prüfung unterzog. Verunsichert dachte sie an ihr Haar, das ständig so aussah, als müsse es frisiert werden, und an ihr Gardemaß von einem Meter fünfundsiebzig. Das Mädchen vor ihr mit dem seidig glänzenden, schwarzen Haar hatte die Idealgröße von einsachtundsechzig, schätzte Lilian und spürte, wie ihre Schultern unwillkürlich zusammensackten, um die unterschiedliche Augenhöhe auszugleichen. Sie fühlte sich linkisch und plump, kam sich vor wie der Elefant im Porzellanladen, der unversehens einer Meißner Figurine gegenübersteht. »Ja?« Lilians Ton war halb bestätigend, halb fragend. »Ja, ich bin Mrs. Plumley; was wünschen Sie?« Lilian wunderte sich, wie heiser ihre Stimme plötzlich klang. Ein offenes, bezauberndes Lächeln lag auf dem Gesicht des Mädchens. »Ich bin Nicole Clark«, sagte sie und streckteLilian die Hand entgegen. »Ich will Ihren Mann heiraten.«
Die Erde stand still. Wie ein Film, der plötzlich reißt, verschwand das jährliche Firmenpicknick von Weatherby & Ross mit einem Ruck aus Lilians Gesichtskreis. Es war einer dieser verflixten Tage. Sie hatte es von dem Augenblick an geahnt, als ihr Magen morgens um sieben gegen die Shrimps vom Abend zuvor rebellierte und sie Hals über Kopf ins Bad gestürzt war, um sich zu übergeben. David war ihr mit einer Dose Sacrotan-Spray gefolgt, und während sie sich krümmte und stoßweise erbrach, sprühte er eifrig gegen die Kacheln, bis Lilian schließlich Atem schöpfen konnte und ihn anbrüllte, er möge endlich mit der gottverdammten Sprüherei aufhören, ihr werde schlecht von dem Geruch. Statt einer Antwort wünschte ihr David einen schönen Hochzeitstag - es war ihr vierter - und trollte sich wieder ins Bett. Er überließ ihr die wenig erfreuliche Aufgabe, seine beiden Kinder aus erster Ehe abzuholen und zu dem Picknick zu bringen. Die Kinder freuten sich auf diesen Ausflug ungefähr so wie auf einen Besuch beim Zahnarzt oder bei ihrer Stiefmutter. Zu allem Überfluß hatte Ihre Königliche Hoheit Mrs. Plumley I. Lilian an der Tür zu Davids ehemaligem luxuriösen Heim empfangen und mit einem Blick, der haarscharf an ihr vorbei gerichtet war, so als sei sie gar nicht vorhanden, verlangt, daß David und sie die Kinder auch zum Abendessen behielten, weil sie eine Verabredung habe. Hochzeitstag, ein verdorbener Magen, zwei widerspenstige Stiefkinder, die Exfrau ihres Mannes, und jetzt das! Lilian starrte das Mädchen, diese Nicole Clark, wortlos an. Sie erwiderte ihren Blick so offen und freundlich, als hätte sie nur nach der Uhrzeit gefragt. Allmählich nahm Lilian ihre Umgebung wieder wahr, Formen und Farben wurden wieder erkennbar und triumphierten mit ihrer gewohnten Vertrautheit über die Absurdität der Situation. Sie befand sich inmitten einer Gruppe von annähernd hundert Anwälten, allesamt Mitglieder einer der größten und angesehensten Chicagoer Kanzleien, die sich hier zusammengefunden hatten, um mit Frauen und Kindern ihr jährliches Betriebsfest zu feiern. Es war ein flimmernd heißer Tag mitten im Juni. Ihr Kleid klebte an Rücken und Achseln fest, ihre weißen Schuhe gruben sich immer tiefer in die weiche Erde, und sie sprach mit einem Mädchen, das mindestens zehn Jahre jünger wirkte als sie, das eine Pfirsichhaut hatte und dessen Haare von der Feuchtigkeit nicht kraus wurden. Und dieses Mädchen hatte ihr gerade erklärt, sie
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