Die Jenseits-Falle
Der Wind schien aus der Ewigkeit zu kommen. Er brachte ein Lied mit, das von unendlicher Trauer, Tod, Vernichtung und Vergänglichkeit erzählte. Er wehte über das Land, und es hatte den Anschein, als würden zarte Hände die Saiten einer gläsernen Harfe streicheln. Der Wind war ein Bote der Mächtigen. Er konnte die Natur zu einer Hölle machen, wenn er zum Orkan aufbrauste, er konnte sie aber auch umschmeicheln wie das Liebeslied einer Frau atemlos zuhörende Männer.
Diesmal spielte er mit den Zweigen und Ästen der Bäume. Er bog sie, streichelte die Büsche, kämmte das hohe Gras, warf Wellen auf die Oberfläche des sprudelnden Bachs, sang um die hohen, vier markanten Steine, die an alte Menhire erinnerten, und fuhr dem kleinen Mann ins Gesicht, dessen Haare er nicht nur nach hinten wehte, sondern ihm auch die Tränen trocknete.
Der Mann stand da und lauschte dem Wind. Er wollte in seinem Säuseln eine Antwort finden, weil er selbst nicht wußte, wie es weitergehen sollte. Doch der Wind verriet nichts. Er ließ den kleinen Mann allein und trocknete nur seine Tränen…
Der Mann senkte den Kopf. Er schaute auf den Boden, wo das saftige Gras wuchs, seine Schultern hoben sich in einer verzweifelten Geste, und ein tiefes Stöhnen drang aus seinem Mund.
»Ich weiß, es ist nicht leicht für dich, aber es gibt einfach keinen anderen Weg…«
Eine Frauenstimme hatte die Worte gesprochen. Sie war hinter dem Mann aufgeklungen, der jedoch tat, als hätte er sie nicht gehört. Er starrte weiterhin zu Boden.
»Dreh dich um, Myxin!« Die Frau sagte es bittend und legte eine Hand auf die Schulter des anderen. Sie gab ihren Fingern ein wenig Druck, und nur widerwillig wandte sich der Mann nach links. Dann standen sie sich gegenüber. Sie schauten sich an. Ein ungleiches Paar - und dennoch würde einer für den anderen durchs Feuer gehen. Bis heute jedenfalls.
»Kara«, flüsterte Myxin, der kleine Magier, »ich bitte dich inständig, überlege es dir.«
»Das habe ich bereits.«
»Und dein Entschluß?«
»Es bleibt dabei, Myxin. Ich kann ihn nicht einfach umwerfen. Nein, das geht nicht. Die andere Sache ist mir zu wichtig. Entweder stellst du dich auf meine Seite oder nicht.«
Der kleine Magier mit der leicht grünlich schimmernden Haut und dem langen Mantel ging einen Schritt zurück. »Ich kann es einfach nicht glauben, daß du es bist, die diese Worte gesagt hat.«
»Siehst du sonst noch jemanden?«
»Nein, aber du bist anders geworden. Seit du Alassia kennengelernt hast, da ist plötzlich…« Er sprach nicht mehr weiter, sondern schüttelte den Kopf.
»Was ist plötzlich?«
»Nichts, gar nichts.«
Eine Weile herrschte Schweigen zwischen den beiden. Sie schauten den ersten Abendwolken nach, die hoch am Himmel schwebten und an auseinandergerissene Watteschleier erinnerten. Keiner traute sich so recht, ein Wort zu sagen, jeder wartete darauf, daß der andere den Anfang machte. Es war eine Situation, wie sie in der letzten Zeit nie vorgekommen war, urplötzlich war es dann geschehen, alles hatte sich verändert. Sie waren gezwungen worden, anders zu reagieren und alte Schwüre zu brechen. Die Begriffe wie Treue, Loyalität, Freundschaft waren auf einmal nicht mehr wert als tauender Schnee im März.
»Ist es dir denn so wichtig?« fragte Myxin nach einer Weile, wobei seine Worte kaum zu verstehen waren.
»Noch wichtiger«, antwortete die Frau in dem langen Kleid und mit dem prachtvollen Schwert an der linken Hüftseite.
»Dann wage ich nicht mehr die nächste Frage zu stellen«, flüsterte Myxin. »Rede nur.«
»Ist es wichtiger als ich?«
»Das kann man nicht vergleichen«, erwiderte Kara. »Du selbst weißt, daß ich mein Leben bisher darauf verwendet habe, den Trank des Vergessens zu finden. Und nun habe ich die einmalige Chance…«
»Aber um welchen Preis!« fiel Myxin der Schwarzhaarigen ins Wort. »Um welch einen Preis? Wir müßten all das verraten, für das wir bisher gekämpft und gelitten haben. Denke daran.«
»Der Trank ist es mir wert.«
»Nein, Kara, so darfst du nicht denken. So nicht.« Myxin schüttelte den Kopf. »Sollen wir zu Verrätern werden?«
»Das wird nicht geschehen. Wenn ich den Trank habe, wird alles anders. Dann können wir unseren Kampf gegen die Mächte der Finsternis noch effektiver durchführen.«
»Aber du verbündest dich mit einer Feindin. Du willst den Teufel mit dem Beelzebub austreiben, so etwas ist noch nie gutgegangen. Denke immer daran.«
»Ich halte mit
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