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Bodenrausch

Bodenrausch

Titel: Bodenrausch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Bommert
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waren. Viele der Jungen flüchteten in die Städte, geblieben sind die Alten.
    Einer von ihnen ist Stepan Ryzna, er ackert wieder auf eigenem Boden. Seine beiden Pferde legen sich ins Zeug, der Pflug gleitet durch den schwarzen Boden, schneidet einen Block nach dem anderen ab, dreht das Untere nach oben. Der tiefbraune Acker glänzt in der Morgensonne. Stepans Land ist ein Handtuch, aber es reicht für die Familie, die Schweine und für das Lebensglück. Anders bei seinem neuen Nachbarn, der die angrenzenden Felder gepachtet hat. Es ist eine Kapitalgesellschaft, die mittlerweile einige 100000 Hektar beackern soll. Sie bringt mit, was Stepan und dem ganzen Land fehlt: Kapital. 40 Milliarden Dollar hält die Osteuropabank für nötig, um die Äcker der Ukraine, die zu den fruchtbarsten der Welt zählten, wieder flott zu machen. 12
    Neben seinen zwei Pferdestärken nimmt sich der Schlepper des Nachbarn gigantisch aus, wie ein Eindringling aus einer fernen Welt. Einer Welt, in der es keine Pferde mehr gibt, keine Strohscheunen und auch keine Zeit. Die Eindringlinge kennen nur ein Tempo, und das heißt Vollgas. Schwarze Abgase zischen aus dem Auspuff des John-Deere-Schleppers, der Boden fliegt, eine gewaltige Fräse zerreißt den Stoppelacker. Noch vor einer Stunde surrten hier die Trommeln eines anderen Ungetüms durch den Weizen. Ein Vollernter amerikanischer Bauart, der nach einer Runde über das Feld an einem Silowagen hält und sein Dreschgut übergibt. Ein Schwall von Körnern rauscht von einem Korntank in den anderen. Richard Spinks drückt die Knöpfe der Hydraulik. Schon fährt er wieder an. Erntezeit heißt Stresszeit.
    Das Feld, auf dem er erntet, sicherte einmal die Existenz von mehr als 100 Kleinbauern, erklärt Richard dem Reporter, der gekommen ist, um das neue britische Investment in die ukrainische Landwirtschaft für den BBC World Service ins Bild zu setzen. Schnitt, die Kabinentür fliegt zu, es muss weitergehen, der Wind dreht, Wolken ziehen auf am Horizont. Bis zum Abend muss abgeerntet sein. Richard führt die Geschäfte von Landkom, einer Kapitalgesellschaft, die in der Ukraine Millionen in die Landwirtschaft investiert hat, in Traktoren, Düngerstreuer, Spritzgeräte, Vollernter, Getreide- und Düngerlager. Das Land hat er gepachtet, es zu kaufen erlaubt das Gesetz noch nicht. Aber er ist guter Hoffnung, denn er verdient richtiges Geld mit seinem Weizen, einige 100000 Tonnen für den Weltmarkt. 13
    Stepan Ryzna klappt den Pflug hoch und schnalzt mit der Zunge, die Pferde traben an, vor dem Unwetter will er zurück auf seinem Hof sein. Auf dem Nachbaracker dröhnen noch die Motoren der Vollernter, es geht in den Endspurt, einen Spurt, den Stepan Ryzna und seine Kollegen nicht gewinnen können. Bevor das Gewitter losschlägt, biegt er mit seinem Gespann auf den kleinen Hof ab. Einen Nachfolger hat er nicht, eine Altersrente kann er auch nicht erwarten. Er wirtschaftet auf dem fruchtbarsten Stück Erde der Welt, vielleicht wird das ja seine Rente, wenn der Engländer daran interessiert ist.
    Er ist interessiert, denn Landkom will weiter wachsen. Das Geschäft auf dem schwarzen Boden lockt viele an. Noch gibt es Brachland, das von den Großbetrieben früherer Zeiten einfach liegen gelassen wurde, weil sie weder Kapital noch Maschinen hatten, um es profitabel zu kultivieren. Mittlerweile stehen 17 Millionen Hektar, mehr als die Hälfte der ukrainischen Ackerfläche, unter der Kontrolle großer Agrarholdings, die ihre Dienste ausländischen Kapitalgebern anbieten. Große Kaliber von bis zu 300000 Hektar sollen dabei sein. Die Angst geht um, dass sich hier das Gleiche entwickelt wie in der ukrainischen Schwerindustrie. Oligarchien, die am Ende den ganzen Markt, auch den für Boden, allein beherrschen. In Odessa bereiten die großen Getreidehändler – auch der Hamburger Konzern Töpfer ist dabei – schon den Weg vor, auf dem Landkom und die anderen Kapitalgesellschaften ihre Ernte verschiffen werden.
    Ihr Ziel sind jährlich 100 Millionen Tonnen für den Weltmarkt, das wäre fast die gesamte Ernte des Landes.
    NORDAMERIKAS WILDER WESTEN
    Was zwischen Kiew und Odessa als gewaltige Welle übers Land geht, über die Kleinlandwirte der Ukraine hinweg, findet auch in den USA zwischen New Orleans und Chicago statt. Das amerikanische Farmland erlebt eine neue Kolonisation. Nach den Siedlern aus dem alten Europa, die mit Pferd und Planwagen vor 200 Jahren den Westen eroberten und vor den ursprünglichen

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