Bodenrausch
der Saal an diesem Abend gerammelt voll, westfälische Bäuerinnen und Bauern, alte und junge, ihr Thema ist die Zukunft, ihre Zukunft. Was draußen stattfindet, regt sie alle auf. Eine Biogasanlage nach der anderen schießt zwischen immer neuen Maisäckern empor. Da sind nicht mehr nur Landwirte am Werk, da kommen auch andere vorbei. Investoren, Kapitalanleger kaufen sich ein und pachten, was sie bekommen können, als Rohstoffflächen für ihre Gasanlagen. Und einige schalten zwischen Acker und Bioreaktor auch noch einen Schweinemaststall, das bringt dann richtig viel Gewinn. Was zählt, ist Größe, die neusten Maststallprojekte mit mehr als 10000 Mastschweinen flößen den Bauern Angst ein. Von bis zu 1200 Euro Pacht pro Hektar wissen landwirtschaftliche Berater im Landkreis Emsland zu berichten. Selbst gute Landwirte können sich das nicht leisten, bei ihnen ist höchstens ein Pachtpreis von 600 Euro möglich, wenn sie sich nicht ruinieren wollen.
Keiner nimmt hier mehr ein Blatt vor den Mund. Ja, auch Bauernvertreter seien dabei, auch die würden am großen Rad der Biogaswirtschaft auf Kosten ihrer Berufskollegen mitdrehen. Keine Gegenstimmen, keine Enthaltungen, hier wird abgerechnet. Im größten Maststall Europas und in der größten Biogasanlage der Bundesrepublik versucht Bernd Schmitz, der stellvertretende Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), Mut zu machen. Es gebe immer einen Rückweg, auch für eine falsche Energie- und Agrarpolitik, man müsse sich nur zusammentun und Gegendruck erzeugen.
Er ist gekommen, weil es so heftig rumort im westlichen Westfalen. Das Bauerngemüt fühlt sich gedemütigt von der Politik seines Bauernverbandes. Sie alle wirtschaften auf Höfen mit Tradition, aber sie fühlen, dass es mit der Tradition bald vorbei sein könnte. Sie wollen wieder Sicherheit. Aus der Ecke des Saals meldet sich der Gründer der AbL und derzeitige agrarpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Friedrich Ostendorf, er wittert hinter all dem, was da draußen auf dem Land vor sich geht, »eine bedenkliche Nähe von CDU, Bauernverband und Agrarindustrie«. Kopfnicken geht durch den Saal. »Unser Omma hat gesacht, dat dat in zehn Johren sowieso vorbie is mit der bäuerlicke Landwirtschaft«, wirft einer der Teilnehmer in die Runde. Aber ans Aufgeben möchte hier noch keiner denken. Sie wollen kämpfen. Ihre Feindbilder sind klar, die Mastfabriken und die Gasbarone. Bauernkrieg im Schweineland.
Wohl nicht zu Unrecht, denn eine Befragung beim Makler ergab, dass 80 Prozent der Verträge über Land mittlerweile mit Investoren geschlossen würden, die mit Landwirtschaft nichts am Hut hätten. Und die zahlen Preise, die für Bauern unerschwinglich sind, so stieg der Bodenpreis im Emsland seit 2005 auf mehr als das Doppelte. 5 Auf den guten Böden will der Einkäufer eines großen Agrarkonzerns 2011 schon 50000 Euro pro Hektar gezahlt haben.
Auch im Osten der Republik, in den Weiten Brandenburgs und Vorpommerns, stöhnen die Bauern. Aber gegen die Energiefabriken im Grünen formiert sich Widerstand. So beschwert sich der Geschäftsführer einer Agrar-GmbH in Sachsen-Anhalt, Wolfgang Beer, über die Herren, die ihm mit ihren Limousinen die Vorfahrt nehmen, wenn es um Boden geht. Seinen Pachtvertrag bekam er nicht in einen Kaufvertrag umgewandelt, weil sein Gebot nicht mehr marktkonform war. Er wollte zu ortsüblichen Konditionen kaufen, was 9500 Euro pro Hektar entsprach. Doch plötzlich sollte er für den gleichen Hektar Land 17500 Euro zahlen, und das war noch nicht das höchste Gebot. Das höchste kam von einem Unternehmer, der nicht an Kartoffeln und Getreide interessiert ist, sondern an Biogas, oder besser Agrogas, denn mit Bio hat auch dieses Konzept nichts zu tun. 6
In Mecklenburg-Vorpommern und in Brandenburg förderte eine Studie des Braunschweiger Thünen-Instituts zutage, dass die Bodenpreise dort allein zwischen 2007 und 2010 um 144 Prozent gestiegen waren. Das Landwirtschaftsministerium in Schwerin sieht die Konzentration von immer mehr Land in den Händen von immer weniger Investoren »mit großer Sorge«. In einigen Gemeinden sei schon die Hälfte der Fläche von privatem Kapital aufgekauft worden. Der bekannteste Investor in der Region, die Steinhoff Holding, wollte sich keinem Interview der Wissenschaftler stellen. 7
Die Energiewirtschaft feiert weiter ihren Siegeszug. Von 2005 bis 2010 erweiterte sie ihre Rohstoffbasis zwischen Flensburg und
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