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Bodenrausch

Bodenrausch

Titel: Bodenrausch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Bommert
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als Recht. Wer nachweisen kann, dass er seit mehr als fünf Jahren ein Landstück beackert, kann es behalten, er muss sich nur einen Titel ausstellen lassen. Aber genau das haben viele der Kleinbauern versäumt oder gar nicht erst erfahren. In dieses Vakuum stieß in Amazonien eine Gruppe von Anwälten, die sich zum Ziel gesetzt hatten, Landtitel zu fälschen.
    Sie werden im Volksmund als »Grileiros« bezeichnet, weil sie Eigentumsdokumente »grillen«, ein Verfahren, durch das sich eine Landurkunde, die im Jahr 2000 ausgestellt wurde, leicht auf 1898 zurückdatieren lässt. Das Kunststück der Turboalterung leisten lebende Grillen, die mit der Urkunde in ein Schubfach gesperrt werden. Die Enge bringt sie dazu, eine Chemikalie auszustoßen, die das Papier dunkel färbt, und aus Hunger knabbern sie die Seiten an, sodass das Dokument in Kürze rapide altert.
    Über 100 Millionen Hektar Land sollen auf diese Weise unrechtmäßig in die Hände von Großgrundbesitzern gelangt sein. Carlos Medeiros gehört zu den legendären Figuren in der Szene. Auf seinen Namen waren 1200 Landtitel ausgestellt, eine Fläche von 12 Millionen Hektar, was der deutschen Ackerfläche entspricht. Erst mit Verspätung kam heraus, dass es einen Carlos Medeiros in Brasilien gar nicht gibt. Er war die Erfindung eines Rings von Landlords, die sich »seine« Flächen gegenseitig zuschoben.
    Besonders fruchtbar für solche Betrügereien scheint Amazonien zu sein. Die Fläche illegaler Landtitel soll dort mittlerweile die Größe des Bundesstaates um das Vierfache übersteigen. Wer sich zu laut gegen diese Machenschaften wehrt, landet leicht auf den Abschusslisten der Großgrundbesitzer, die ihr Land auf Kosten anderer erweitern. 18
    Die Flucht der von ihrem Land Verdrängten führt in den Urwald längs der Transamazônica. Dort wurden in den letzten zehn Jahren 200000 Quadratkilometer in den Bundesstaaten Rondonia und Mato Grosso wild gerodet, vor allem entlang der BR 163. Doch auch diese Ausweichzonen sind nicht sicher vor dem Zugriff der Landlords. Im Gegenteil, sie sind die Expansionszonen, auf denen sich die Soja- und Zuckerrohrplantagen weiter in den Urwald fressen und so wieder neue Flüchtlingsbewegungen produzieren. 19
    Der Durst auf Biosprit treibt auch den Ausbau der Zuckerrohrplantagen weiter voran. Brasilien destilliert die Hälfte seines Zuckerrohrs derzeit zu Sprit und wird nach der Analyse der Weltbank die Fläche seiner Plantagen bis 2017 verdoppeln. 20
    Was sich in Brasilien und Argentinien abspielt, findet seine Wiederholung in den anderen großen Agrarstaaten Südamerikas. Der boomende Sojaanbau überrollt die Kleinbauern und die indigene Bevölkerung. Und wo sie versuchen, in einer Kooperation mit Großagrariern Soja anzubauen, geht ihnen schnell der Atem aus. Teures genmanipuliertes Saatgut, Dünger und Pestizide können sie meist nicht lange bezahlen. Das führt zu einer stillen Flurbereinigung und einer sozialen Tragödie, weit entfernt von jeder Öffentlichkeit im weiten Land.
    Nicht anders in Paraguay, hier entwurzelte die Agrotreibstoffpolitik bereits mehr als 200000 Familien, 90000 verließen ihre Höfe und Felder. Vertreibungen sind an der Tagesordnung, Aufstände und Gegenwehr führen zu einer ausufernden Selbstjustiz, die auch vor Morden nicht zurückschreckt. 21
    Einen besonderen Schandfleck auf der Karte des globalen Bodenrausches finden wir in Kolumbien. Hier irren mittlerweile 4 Millionen Flüchtlinge durch das Land, meist Bauern, die ihre Höfe verlassen mussten, Treibgut des Bürger- und Bandenkrieges, der das Land seit Jahrzehnten im Griff hält. Wer sich hier einen Namen im Agrospritgeschäft macht, dem klebt nicht selten Blut an den Fingern. Meist sind es Führer der Paramilitärs. Mehr als 12000 Morde zwischen 1988 und 2003 gehen auf ihre Rechnung. Je fruchtbarer der Boden, desto aggressiver die Vertreibung und desto häufiger die Präsenz von internationalen Konzernen, konstatieren Beobachter. 22
    Auf 3 bis 7 Millionen Hektar beläuft sich die Landmasse, die in Kolumbien illegal und unter Zwang den Besitzer gewechselt haben soll. Das Geschäft zu Lasten der Kleinbauern war umso leichter, weil 85 Prozent von ihnen nicht über einen Eintrag im Grundbuch verfügten. Besonders übel wird der afrokolumbianischen Bevölkerung mitgespielt, den Nachkommen der afrikanischen Sklaven, die einst gewaltsam nach Südamerika verschifft wurden. Ruheräume, humanitäre Zonen sollten ihnen Sicherheit und Frieden bringen.

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